Die Judas-Papiere
Wenigkeit. Waffenhandel ist nun mal ein Geschäft wie jedes an dere. Ein Produkt kommt nur auf den Markt, weil es dafür Bedarf gibt. Das gilt genauso für Waffen und Kriegsgerät wie für den Stahl, den unsere Firma produziert.«
Die mit Jane Angesprochene ging gar nicht darauf ein, denn da fragte Maggie auch schon neugierig: »Meinst du, er hat auch auf die ser Reise eine bildhübsche Geliebte in seinem Abteil? Er soll ja ein Schwerenöter und Casanova sein, der mit seinen zahlreichen Affären schon für so manchen Skandal gesorgt hat. Und er soll in Wien stets Damen und Dämchen zu sich ins Abteil einsteigen lassen. Obwohl ich mir das gar nicht vorstellen kann, so . . . so gewöhnlich, wie er aussieht. Was finden diese Frauen bloß an ihm?«
»Eine unerschöpfliche Geldquelle, wenn es wirklich Basil Sahar ist«, sagte der andere Mann an jenem Vierertisch trocken. »Da wird dann selbst eine hässliche Kröte zu einem strahlenden, verführerischen Prinzen – so wie ich die Frauen kenne!«
»Was du nicht sagst, Edgar!« Maggies Stimme nahm nun den schar fen Klang einer eifersüchtigen Ehefrau an. »Du kennst also die Frauen, ja? Würdest du mir bitte erklären, wie ich das verstehen soll?«
Alistair verzog das Gesicht zu einem breiten Grinsen.
»Dumm gelaufen! Ein schlechteres Blatt hätte er sich bei dieser Par tie kaum geben können«, raunte er. »Das Eheleben mit einer Frau, die sich ihrer nicht sicher ist, birgt wahrlich mehr Gefahren als so manches Minenfeld.«
»Dann pass bloß auf, wer dich einmal in den Hafen der Ehe lockt, Alistair!«, sagte Harriet spöttisch.
Alistair lachte. »Keine Sorge, ich weiß schon, welches hübsche Biest blendend zu mir passt, kleine Schwester Bourke«, sagte er und schenkte ihr sein strahlendes, entwaffnendes Lächeln. »Ich habe da sehr genaue, geradezu plastische Vorstellungen. Wenn du Lust hast, können wir uns ja mal darüber unterhalten.«
»Du bist wirklich unverbesserlich«, sagte Harriet kopfschüttelnd, jedoch mit einem amüsierten Lächeln.
Byron, der ihr außen am Gang gegenübersaß, entging dieses Lä cheln nicht. Er wünschte, dieses vergnügte Schmunzeln hätte ihren sanften Tadel nicht begleitet. Doch kaum wurde ihm dies bewusst, als er sich auch schon besorgt fragte, wieso ausgerechnet diese Frau, die zudem nicht einmal aus seiner Gesellschaftsschicht stammte und als Artistin durch die Welt tingelte, ihn nach all den Jahren eiserner Unberührbarkeit innerlich so in Aufruhr versetzte.
Augenblicke später wurden die Filetspitzen aufgetragen. Und mit dem Hauptgericht erschien ein Mann im Speisewagen, den bis dahin noch keiner von den Mitreisenden zu Gesicht bekommen hatte und der entschlossen war, sogleich und vor aller Augen einen Mord zu begehen!
3
N iemand schenkte dem etwa dreißigjährigen Mann mit dem tinten schwarzen, pomadisierten Haar sonderliche Beachtung, der aus dem Übergang vom zweiten Schlafwagen kam, den Speisewagen mit ge beugtem Kopf betrat, scheinbar an den Knöpfen seiner zu groß gera tenen Jacke nestelte und sich auf dem Weg zum Ende des Waggons im Rücken der mit Tellern beladenen Kellner hielt.
Sein Gesicht war rot angelaufen, als litte er unter gefährlichem Bluthochdruck, und seine zusammengepressten Lippen zuckten un kontrolliert. Schweiß glänzte auf seiner Stirn und ein starrer Blick lag in seinen dunklen Augen, die eng über einer groben Nase lagen. Dass er dennoch niemandem auffiel, hing sicherlich damit zusam men, dass er wie die anderen Bediensteten im Restaurant den wei ßen Dress eines Zugkellners trug.
Anderthalb Schritte hinter Byron musste er kurz stehen bleiben, weil ein Kellner am Zweiertisch des Barons und seines monokeltra genden Tischgenossen gerade das Stroganoffgericht servierte. Als der Kellner den Weg frei machte, fuhr die rechte Hand des fremden Mannes im Weitergehen unter die Jacke. Ein leises, metallisch schar fes Geräusch folgte im nächsten Augenblick. Als seine Rechte eine Sekunde später wieder zum Vorschein kam, lag die lange, beidseitig geschliffene Klinge eines Stiletts in seiner Hand.
»Stirb und erstick an deinem Blut, du Hurensohn!«, brüllte er mit schriller, sich überschlagender Stimme – und stürzte mit dem Mes ser, dessen Stahl im Licht der kristallenen Leuchter bläulich funkelte, in der nun hoch erhobenen Hand auf Basil Sahar zu.
Der Waffenhändler hatte sich gerade mit der Linken eine Gabel voll aufgespießter Filetstreifen in den Mund gestopft und mit der Rech ten ein
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