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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Gleisunterbrechung zum Stehen gebracht. Die Bur schen sammelten im Zug alle Wertgegenstände ein und nahmen eini ge der Gäste als Geiseln, unter anderem auch fünf deutsche Bankiers und den Geschäftsträger der britischen Botschaft in Pera. Für Letzte ren verlangten sie ein Lösegeld von 8 000 Goldpfund. Das Lösegeld wurde neun Tage später auch gezahlt und die Geiseln wurden darauf hin freigelassen. Der Bandenchef Anasthatos gab jedem von ihnen so gar fünf Goldstücke, damit sie ihre Reise fortsetzen konnten.«
    »Und Ihnen . . . Ihnen ist bei diesem Überfall nichts passiert?«, frag te der schmächtige Herr von Zittwitz, der nun recht bleich aussah.
    »Ebenso wenig wie diesem Anasthatos«, sagte der Herr Baron. »Der Bandit entkam mit dem erpressten Geld und wurde auch nie gestellt und seiner gerechten Strafe zugeführt. Aber dieser Überfall hätte um ein Haar zu einem ernsten diplomatischen Zwischenfall geführt. Denn Kaiser Wilhelm wollte eine Truppe aus Soldaten und Polizisten entsenden, um diese Bande dingfest zu machen, die es gewagt hatte, fünf hochrangige deutsche Staatsbürger zu entführen. Aber dieses Ansinnen fasste der Sultan in Konstantinopel als Beleidigung auf und verbat sich die Einmischung nachdrücklich.«
    »Unglaublich!«, murmelte der Herr von Zittwitz, klemmte sich das Monokel wieder vor das rechte Auge und schob den noch halb vollen Suppenteller von sich, als hätte er plötzlich den Appetit verloren.
    »Ja, der Balkan ist und bleibt nun mal ›der kranke Mann des Orients‹ und in den Ländern hinter der österreich-ungarischen Grenze weiß man nie, was einen an bösen Überraschungen erwartet. Die Leute sind wild und zügellos und die Herrscher prunksüchtig, schwach und miteinander aufs Bitterste verfeindet«, sagte der Baron voller Geringschätzung. »Und was die korrupte Obrigkeit betrifft, so ist die manchmal noch schlimmer als die Räuberbanden und Aufständischen, die so zahlreich sind wie die Flöhe auf einem streunenden Hund. Die ganze Region ist ein elendes Pulverfass, das ja auch regelmäßig explodiert. Ich gestehe, es nicht erwarten zu können, endlich von meinem Botschafterposten in Rumänien abberufen zu werden und wieder Dienst in einem halbwegs zivilisierten Land tun zu dürfen.«
    Byron, Harriet, Horatio und Alistair, die dem Wortwechsel der bei den kurz gefolgt waren und sich stumm Blicke zugeworfen hatten, schenkten dem weiteren Gespräch keine Beachtung mehr, erging sich der Diplomat doch nun in weitschweifigen Ausführungen über die katastrophale Politik und Wirtschaft des Osmanischen Reiches.
    Doch als nach dem Fischgericht, nun Filetspitzen à la Stroganoff serviert wurden, erregte das Gespräch der Gäste hinter ihnen ihre Aufmerksamkeit. Denn wie sich herausstellte, redeten die beiden äl teren Ehepaare, bei denen es sich ihrem Akzent nach um Amerikaner handelte, über den Mann in dem weinroten Samtjackett, der allein am letzten Zweiertisch saß. Während des Essens blätterte dieser merkwürdige Gast unablässig in einem dicken Stoß Papiere, die er aus einer abgeschabten Ledertasche zu seinen Füßen gezogen hatte, und schrieb zwischendurch immer wieder etwas in ein dickes, abge griffenes Notizbuch. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass er kaum einmal aufblickte. Was die Kellner ihm an Weinen und Speisen ser vierten, nahm er kaum zur Kenntnis. Er aß wie ein Automat, zer malmte alles achtlos zwischen seinen kräftigen Kiefern und spülte ebenso gedankenlos mit Wein nach, als handelte es sich dabei nicht um edle Tropfen, sondern um klares Wasser.
    »Und ich sage dir, Maggie, das ist er!«, beharrte eine hohe Frauen stimme in Byrons Rücken. »Das ist der Mann aus Abteil 7, das für ihn reserviert ist, wann immer er den Orient-Express nimmt. Es heißt, dass er in diesem Zug mehr Zeit verbringt als irgendwo sonst. Ein richtiges Zuhause soll er gar nicht haben, wenn es stimmt, was ich über ihn gelesen habe.«
    »Du meinst, das ist wirklich dieser Halbarmenier Basil Sahar?«, fragte die andere Amerikanerin am Hintertisch mit vor Aufregung atemloser Stimme.
    »Wenn ich es dir doch sage, Maggie! Ich weiß es von unserem Zug begleiter. Das ist der berüchtigte Waffenschieber, der überall seine Hände im Spiel hat, wo Länder miteinander im Krieg liegen.«
    »Mein Gott, Jane! Bitte verschone uns mit pietistischer Moral. Die gehört hier wahrlich nicht her«, sagte daraufhin eine gelangweilte Männerstimme. »Der Mann ist Geschäftsmann so wie Edgar und mei ne

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