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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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leichtesten Daunen gefüllt waren, wenn das Zugpersonal die Sitzbänke für die Nacht in übereinanderliegende Betten verwandelte.
    »Und wenn die Herrschaften wünschen, lassen sich die beiden Ab teile durch das Öffnen dieser Intarsientür hier in einen privaten Sa lon verwandeln«, erklärte er.
    Sie kamen aus dem Staunen über all den Luxus nicht heraus, der je des Detail der Innenausstattung prägte. Besonders fasziniert war Harriet von dem Waschkabinett, das sich cabinet de toilette nannte. Es befand sich in einer Ecke hinter einer gebogenen Tür. Dort wartete ein ovales Waschbecken aus rotem Marmor. Und eine Reihe von Duftflakons sowie Cremes und teure Seifen füllten die Ablagen vor dem geschliffenen Kristallspiegel. Der obligatorische Nachttopf aus kunstvoll bemaltem Porzellan verbarg sich unter dem Waschbecken.
    Alistair machte ein anderes Detail aus, als der Conducteur seine erste Einweisung beendet, ihre Tischreservierung für den Speisewa gen entgegengenommen und sich zurückgezogen hatte. »Seht euch das mal an! Hier am Kopfende eines jeden Bettes gibt es ein kleines, samtiges Viereck mit einem Häkchen zum Aufhängen der Taschen uhr!«, stieß er verblüfft hervor. »Die Burschen haben wirklich an alles gedacht! Freunde, hier lässt es sich ein Weile aushalten! Von mir aus könnte die Reise auch eine ganze Woche dauern!«
    Augenblicke später ertönte die Dampfsirene der Lokomotive. Ein sanfter Ruck ging durch den Zug und der Orient-Express setzte sich in Bewegung, rollte fahrplanmäßig um 18 Uhr 50 aus dem Wiener West bahnhof und dampfte hinaus in die verschneite Dunkelheit.

2
    A ls der Maître d’Hotel, der Oberkellner, die Reisenden zum Dinner rief und Byron mit seinen Gefährten den Speisewagen betrat, raubte die luxuriöse Ausstattung selbst ihm fast den Atem. Sie spiegelte den prunksüchtigen Geschmack des viktorianischen Zeitalters wider. Kleine Kristallleuchter hingen von der gewölbten Decke, die weiß gestrichen und mit Ornamenten aus Blattgold geschmückt war, und verbreiteten ein gedämpftes, aber festlich funkelndes Licht. Die Wände waren mit Samt und Gobelins aus gepresstem Cordoba-Le der bespannt. Und zwischen den Fenstern hingen Original-Aquarelle und Stiche von den berühmtesten Künstlern des neunzehnten Jahr hunderts wie Delacroix, Decamps und Meryon.
    Auch hier im Speisewagen fanden sich raffinierte kleine Details, die verrieten, dass man an alles gedacht hatte, was auch nur irgend wie der Bequemlichkeit und Annehmlichkeit der Gäste dienen konn te. So gab es etwa ein kleines Gestell, auf dem die Reisenden kleine Gegenstände wie ein Buch, einen Feldstecher, ein Zigarettenetui oder einen Tabaksbeutel ablegen konnten. Es zog sich unterhalb der Fenster über die ganze Länge des Salons entlang und ruhte auf ver goldeten, mit reichen Mustern geschmückten Stützen.
    Der Speisewagen bot Platz für vierzig Gäste und jeder hatte für die Dauer der Reise seinen für ihn reservierten Stammplatz. Auf der einen Seite des rollenden Restaurants reihten sich sieben Tische für jeweils vier Gäste hintereinander, auf der anderen Seite sieben Tische für je zwei Passagiere. Vor dem letzten, hinter dem es zum Übergang in den Salonwagen ging, stand jedoch nur ein Stuhl. Dort saß ein stämmiger, untersetzter Mann mit dunklem, kraus gelocktem Haar, rosig rundem Gesicht und der leicht getönten Haut eines Orientalen. Der allein reisende Fremde, der ein auffälliges Jackett aus weinrotem Samt und dazu eine breite Fliege aus sonnenblumengelber Seide trug, genoss offensichtlich das besondere Privileg, seinen Tisch mit keinem anderen Mitreisenden teilen zu müssen.
    Ein Kellner führte sie zu ihrem Vierertisch, der sich im hinteren Drittel des Speisewagens und nur zwei, drei Schritte von dem Einzel tisch entfernt befand. Sie nahmen auf den samtgepolsterten Stühlen mit ihren hohen, gleichfalls gepolsterten Rückenlehnen Platz und dann perlte auch schon Champagner in ihren schlanken Kristallkel chen.
    Alistair hob sogleich sein Glas. »Na, dann wollen wir mal einen or dentlichen Schluck auf Lord Pembroke trinken, dass er die Weitsicht hatte, uns mit einer gut gespickten Reisekasse auf diese irrwitzige Jagd nach altem biblischem Kram zu schicken!«, sagte er beschwingt und zwinkerte dabei Byron zu.
    »An deinen Trinksprüchen lässt sich noch einiges verbessern, Alis tair«, erwiderte Harriet spitz, die in ihrem schwarzseidenen Abend kleid mit dem Halskragen aus feinster Spitze umwerfend

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