Die Judas-Papiere
selbstsicheren Lächeln: »Man sagt mir ja so manches nach. Einiges entspricht der Wahrheit, aber anderes geht weit daran vorbei. Was nun Francisco und seine Frau Alvira be trifft, so habe ich mir nichts anderes vorzuwerfen, als dass ich da mals eingegriffen habe, um Alvira vor ihrem zweifellos geistesge störten Mann zu retten.«
Und dann erzählte er ihnen, was sich damals im Orient-Express auf der Hochzeitsreise von Alvira und Francisco y Azcarte ereignet hatte. Der Vorfall hatte sich kurz vor Salzburg zugetragen. Der Schrei einer Frau aus dem Nachbarabteil hatte ihn aufgeschreckt und ihn zusam men mit seinem Leibwächter in jenes Schlafgemach stürzen lassen.
»Als wir die Abteiltür aufstießen, sahen wir eine junge Frau am Bo den liegen. Ihr Nachthemd war zerrissen, von Blut überströmt. Sie hatte am Hals eine klaffende Wunde. Und sie wimmerte: ›Mein Mann will mich töten! Helfen Sie mir!‹ Kaum hatten wir die Situation er fasst, als Francisco auch schon mit einem Rasiermesser in der Hand auftauchte. Meinem Leibwächter gelang es gerade noch rechtzeitig, ihm die Waffe zu entwinden und ihn zu überwältigen.«
Horatio zog die Augenbrauen hoch. »Das wirft natürlich ein völlig anderes Licht auf diese Sache«, sagte er und blickte dabei Alistair mahnend an.
»Es war unverzeihlich von Franciscos Familie, seine Geistesgestörtheit vor Alvira und ihren Eltern zu verschweigen und diese Ehe zu arrangieren«, fuhr Basil Sahar fort. »Alvira hatte sich nach dem Vorfall selbstverständlich geweigert, bei ihm zu bleiben. Und erst viel später sind wir beide uns nähergekommen. Von einer Verführung meinerseits kann daher keine Rede sein. Man hat Francisco ärztlich be handeln lassen, aber leider davon abgesehen, ihn in einer geschlossenen Anstalt zu verwahren.«
»Wie kommt es, dass Ihr Leibwächter heute nicht zur Stelle war?«, wollte Byron wissen.
»Der Arme musste sich knapp eine Stunde vor der Abreise in ein Wiener Krankenhaus begeben. Er hatte eine Nierenkolik. Ich hoffe, man hat ihm dort helfen können und ihm ein gutes Schmerzmittel gegeben«, sagte Basil Sahar betrübt. »Er wird untröstlich sein, wenn er erfährt, dass Francisco y Azcarte mich beinahe erstochen hätte. Dem Himmel sei Dank, dass er mir Sie als rettenden Schutzengel ge sandt hat, Miss Chamberlain-Bourke!« Er verneigte sich, im tiefen Sessel sitzend. »Mein Dank . . .«
». . . wird mir ewig gewiss sein, ich weiß«, fiel Harriet ihm lächelnd ins Wort.
Das Gespräch wandte sich nun anderen Themen zu und kam ir gendwann zwangsläufig auf Basil Sahars Beruf als Waffenhändler, der unermüdlich durch die Welt reiste und an allen Brennpunkten politischer Konflikte seine Geschäfte machte. Insbesondere Horatio und Alistair interessierten sich dafür, wie er dazu gekommen war. Und Basil Sahar zeigte sich ausgesprochen auskunftsbereit.
»Dass ich einmal diesem Beruf nachgehen würde, stand mir wahrlich nicht ins Stammbuch geschrieben«, erzählte er. »Sie müssen wissen, dass ich griechisch-armenischer Herkunft bin. Und sowohl Grieche oder Armenier zu sein, ist in der Türkei ein schweres Los. Doch beides in einer Person, das ist doppelt bitter. Die Griechen sind den Türken verhasst und die Armenier würden sie am liebsten bis auf das letzte Kleinkind vertreiben oder Schlimmeres. Genügend Anstrengungen, diesem Ziel nahezukommen, unternehmen sie wahrlich! Aber lassen wir das.« Er machte eine kurze Pause, nahm einen Schluck Brandy und fuhr dann fort: »Ich bin also mit dem Makel grie chisch-armenischer Abstammung zur Welt gekommen, und zwar in der südwestlichen Türkei, und dann in Tatvla, einem Elendsviertel von Konstantinopel, aufgewachsen. Dort verdiente ich mein erstes Geld als Fremdenführer.«
»Sie haben Touristen zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt ge führt?« Alistair machte ein ungläubiges Gesicht.
Basil Sahar schmunzelte. »Nun ja, man muss dazu wissen, dass die Bezeichnung ›Fremdenführer‹ in jenen Jahren und auch heute noch in Konstantinopel eine etwas andere Bedeutung hat, als es allgemein der Fall ist. Konventionelle Touristen waren zu meiner Jugend eher selten. Die überwiegende Zahl der Fremden waren Seeleute und Händler, die sich wahrlich nicht für die Blaue Moschee oder die römi schen Ruinen interessierten. Ihnen stand der Sinn vielmehr nach dem, was ich mit Rücksicht auf die junge Dame in unserer Runde de zent als die orientalischen Liebesfreuden bezeichnen möchte.«
Alistair grinste. »So kann ich
Weitere Kostenlose Bücher