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Die Judas-Papiere

Die Judas-Papiere

Titel: Die Judas-Papiere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer M. Schroeder
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Brust, wie stark diese Macht wohl war, die nicht erst in den letzten Minuten von seinen innersten Gefühlen Besitz er griffen und ihn in solch einen Zwiespalt zwischen Sehnen und Verweigern gerissen hatte.

5
    B edrückt Sie etwas?«, erkundigte sich Horatio am folgenden Mor gen beim Frühstück bei Harriet, die ungewöhnlich still und in sich gekehrt mit ihnen am Tisch saß. »Sie machen heute einen irgendwie abwesenden Eindruck.«
    Verwirrt blickte Harriet auf. »Wie bitte? Nein, mich bedrückt nichts«, versicherte sie. »Ich war nur in Gedanken bei diesem . . . die sem merkwürdigen Traum, den ich die letzte Nacht hatte.«
    Byron hätte sich fast an einem Stück frisch gebackenem Croissant verschluckt und griff hastig zu seiner Serviette, um sein Husten zu dämpfen.
    »Und was war so merkwürdig an diesem Traum?«, wollte Alistair wissen. Er hatte dunkle Schatten unter den Augen und hätte an die sem Morgen vermutlich den besten Grund von ihnen allen gehabt, bedrückt zu sein. Denn er hatte die stolze Summe von gut neunhun dert Pfund beim Pokern verloren. »Vielleicht muntert es mich ein we nig auf und lässt mich vergessen, dass die feinen Herren mir gestern Nacht beinahe mein ganzes Geld abgenommen haben. Ich vermute sogar, dass ich heute Morgen böse in der Klemme gesessen hätte, wenn dieser Waffenschieber nicht in der letzten Runde ganz überra schend sein Blatt hingeworfen hätte, als nur noch wir beide um den Pot spielten. Ich hatte nämlich absolut nichts in der Hand. Also, nun rück schon damit heraus, Harriet! Es interessiert mich, wovon eine einsame junge Frau so träumt.« Dabei sah er sie mit einem unver schämt zweideutigen Lächeln an.
    Harriet winkte ab, während eine verlegene Röte ihre Wangen färb te. »Ach, es ist nichts . . . jedenfalls nichts, was ich ausgerechnet dir auf die Nase binden möchte!«, beschied sie ihn forsch. »Und dass sie dir beim Pokern sozusagen die Hosen ausgezogen haben, geschieht dir nur recht! Das kommt davon, wenn man sich mit so reichen Leute an einen Tisch setzt!«
    Alistair grinste. »Der fette Speck reizt nun mal mehr als der mage re. Und ich hole mir mein Geld schon wieder, verlass dich drauf!«, er klärte er mit dem unzerstörbaren Optimismus des leidenschaftli chen Spielers.
    Byron hielt seinen Blick auf seinen Teller gesenkt und tat so, als nähme ihn das opulente Frühstück völlig in Anspruch und als hätte er den Wortwechsel soeben nicht mitbekommen. Dabei fragte er sich im Stillen, ob Harriets merkwürdiger Traum wohl etwas mit ihm und seinem zärtlichen nächtlichen Beistand zu tun hatte.
    Bis auf diese kurze angespannte Situation, die nur Byron und Harriet als solche empfunden hatten, verlief der Rest des Tages ohne beson dere Vorkommnisse. Mit ruhigem Gleichmaß zogen an den Fenstern die weiten, fast baumlosen Ebenen der Puszta vorbei. Scheinbar end los erstreckte sich die Einöde. Gelegentlich tauchte in der menschen leeren Steppe ein ärmliches Dorf, ein einsames Gehöft oder ein Fuhr werk auf. Der bläulich leuchtende Schnee verschwamm mit dem Blau des Himmels und alles Eckige löste sich in weiche, vage Konturen auf. Einmal sahen sie eine Reiterschar in der Ferne, die auf wilden Nonius-Pferden dahinpreschte und die Byron wie eine flirrende Fata Morgana erschien. Doch all diese fremden Bilder verschwanden wieder so schnell aus dem Blickfeld der Zugreisenden, wie sie lautlos hineinge glitten waren. Hier und da hörte man Passagiere darüber reden, dass der Zug nun in den tiefen und wilden Balkan vorstieß, wo man jeder zeit auf unangenehme Überraschungen gefasst sein musste.
    »Das Räuberpack in diesen Regionen weiß nämlich nur zu gut, wel cher Reichtum da mit gerade mal sechzig Stundenkilometern auf den maroden Gleisen vorbeizieht!«, hörte Byron im Vorbeigehen ei nen fettleibigen Mann sagen, der mehr goldene Ringe an seinen Fin gern trug als so manch schmuckverliebte Frau.
    Worauf sein Gesprächspartner erwiderte: »Apropos Räuberpack! Ich habe gehört, dass wir nicht nur einen Leipziger Zobelpelzhändler und wieder einmal einen Agenten für russische Staatsanleihen an Bord haben, sondern auch einen Spezialisten für Statistiken. Den hat eine orientalische Regierung in verzweifelter Lage angefordert, um die offiziellen Zahlen ihrer katastrophalen Haushaltsrechnung zu fri sieren!«
    »Das wundert mich gar nicht. Ich sage es ja immer: Diese Länder mit ihrer Verschwendungssucht und Korruption brauchen eine star ke koloniale Hand, die bei

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