Die Judas-Papiere
in ihrer Runde. Er nahm sein Glas und erhob sich. »Sehr aufschlussreich das Ganze, Mister Sahar. Aber das genügt mir im Augenblick an Information über den derzeitigen Stand des Waffenhandels. Ich denke, ich leiste jetzt den Männern dorthinten Gesellschaft, die sich zu einem Kartenspiel zusammengefunden habe. Denke mal, dass denen ein weiterer Mitspieler, der den Pot fetter macht, sicherlich willkommen sein wird, sofern Poker ihr Spiel ist, wie ich hoffe.«
»Eine blendende Idee, Mister McLean!«, stimmte ihm der Waffen händler sogleich zu. »Auch ich habe eine Schwäche für dieses aufre gende Spiel! Setzen wir uns also zu ihnen! Und da ich an jenem Tisch den Freiherrn von Graven sehe, bin ich mir sicher, dass dort gepo kert wird. Denn jedes andere Kartenspiel ist ihm aus tiefster Seele zuwider. Also dann, mal sehen, wem die Karten heute Nacht gewo gen sind.« Er erhob sich und verbeugte sich vor Harriet. »Miss Cham berlain-Bourke . . . Gentlemen!« Und damit begab er sich mit Alistair zu den Kartenspielern im hinteren Teil des Rauchsalons.
»Was für ein Typ!«, murmelte Horatio kopfschüttelnd. »Ich weiß nicht recht, ob ich ihn für seine Kaltschnäuzigkeit und Skrupellosig keit bewundern oder verabscheuen soll! Mangelnde Offenheit ist ihm jedenfalls nicht vorzuwerfen.«
Byron nickte mit nachdenklicher Miene. »Er ist wahrlich eine schil lernde Persönlichkeit, das lässt sich mit Sicherheit sagen. Nun ja, ex ungue leonem – an den Klauen erkennt man den Löwen!«
Harriet schaute indessen Alistair nach. »Ich hoffe, er weiß, mit wem er sich da an einen Pokertisch setzt«, sagte sie besorgt. »Er mag sich mit seinen tausend Pfund für reich halten, doch für Sahar und die an deren Mitspieler dürfte das keine sonderlich beeindruckende Sum me sein.«
»Alistair ist alt genug, um zu wissen, worauf er sich da einlässt«, sagte Byron.
Sie saßen noch eine gute halbe Stunde zusammen. Dann begann Harriet, hinter vorgehaltener Hand zu gähnen. »Ich denke, ich gehe schon mal ins Abteil und mache mich für die Nacht fertig. Der Tag war lang und das Dinner allzu mächtig.«
Byron nickte ihr zu, wich dabei jedoch ihrem Blick aus. »Lassen Sie sich nur Zeit, Harriet. Meine Zigarre hält mich hier noch eine Weile fest«, sagte er und konnte nicht umhin, sich vorzustellen, wie sie sich in ihrem gemeinsamen Abteil gleich entkleiden und in ein Nacht hemd schlüpfen würde.
Er ließ die Zigarre langsam im kristallenen Aschenbecher verglim men. Als er meinte, Harriet Zeit genug für das Umkleiden und die Nachtwäsche gegeben zu haben, wünschte er Horatio eine angeneh me Nachtruhe und machte sich auf den Weg zu ihrem Abteil. Ein Blick hinaus in die vorbeiziehende nächtliche Landschaft Ungarns sagte ihm, dass es noch immer schneite. Die weiße Decke, die der Schnee lautlos über das Land gelegt hatte, leuchtete hell im Licht des Mondes, der in seinem dritten Viertel stand. Es war ein Anblick von makelloser Schönheit und stillem Frieden.
Leise öffnete er die Abteiltür. Harriet hatte für ihn das kleine Nachtlicht über der Tür zum Waschkabinett brennen lassen. Behut sam schloss er die Tür hinter sich. Harriet hatte wie erwartet das un tere Bett gewählt. Der seidige und reich bestickte Vorhang davor war zugezogen.
»Sie brauchen nicht auf Zehenspitzen zu schleichen, Byron«, sagte Harriet hinter dem Vorhang. »Ich schlafe noch nicht. Tun Sie sich also keinen Zwang an.«
»Danke«, murmelte er merkwürdig verlegen. »Das macht die Sache natürlich etwas weniger anstrengend.« Er zögerte kurz, ob er sich zum Auskleiden ins angrenzende Waschkabinett begeben sollte, beschloss dann jedoch, zumindest die Schuhe sowie den Abendanzug schon im Abteil auszuziehen und die Sachen in den Schrank zu hängen. Zwar war es ein blickdichter Vorhang, dennoch fühlte Byron sich merkwürdig beklommen, als er nur noch in Strümpfen, Leibwäsche und Oberhemd bekleidet so nahe bei ihr am Bett stand.
Schnell warf er sich seinen Morgenmantel über und verschwand im Waschkabinett. Er war nun froh, vor dem Zubettgehen erst noch die Toilette des Speisewagens aufgesucht haben. Jetzt einem solchen Bedürfnis nachgeben und vom Nachttopf Gebrauch machen zu müs sen, hätte ihn in peinlichste Verlegenheit gestürzt.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn wir das Nachtlicht brennen las sen?«, fragte Harriet bittend, als sie ihn aus dem Waschkabinett kommen und hoch zum Oberbett steigen hörte.
»Nein, nicht im Geringsten«, sagte er. Doch
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