Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
schmutziges Geschäft, aber sein und Tizianos Leben und ihre Karriere standen auf dem Spiel.
»Die Sterberate?«
»Er sagt, dass seiner Einschätzung nach etwa dreitausend Menschen an der Epidemie gestorben sind. Klingt nicht hoch.«
»Mag sein, jedenfalls für den Augenblick«, entgegnete Martinelli, »aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Wo ist deine Familie?« Tiziano war verheiratet und hatte einen Sohn.
»Ich habe sie nach Sizilien geschickt, zu meinen Schwiegereltern.«
»Sie sollen eine Weile dort bleiben, bis wir wissen, wie sich die Lage entwickelt. Heute Abend muss ich meine Frau treffen. Sie ist in Bologna. Schick einen Heli hierher, so um neun! Und …« Martinellis Lippen zitterten ein wenig. »Wo ist der Leichnam meines Sohnes?«
»Noch immer am Flughafen.«
»Hol ihn her!«
Tiziano schüttelte den Kopf. »Roberto, nein. Die Leiche – sie sieht nicht gut aus. Du würdest dich nur aufregen. Überlass alles mir!«
Während der Präsident seine Tränen unterdrückte, nahm Tiziano dessen Leid leidenschaftslos wahr. Anteil nehmen, so etwas kannte er schon seit Jahren nicht mehr. Marco hatte Martinellis Hoffnung auf die Gründung einer politischen Dynastie bedeutet – eine der wenigen unerfüllten Ambitionen des Chefs. Nun hatte sie sich endgültig zerschlagen. Wäre der Junge zu etwas nütze gewesen? Nein. Zwar hatte Marco wie sein Vater ausgesehen und den gleichen Charme besessen, aber er war selbstsüchtig und willensschwach gewesen. Er hatte etwas höchst Unangenehmes an sich. Das Problem war, dass Vater und Sohn süchtig nach Macht waren so wie andere nach Alkohol oder Drogen. Tiziano wusste das, weil auch er süchtig nach Macht war. Sie war das Einzige, wofür es sich zu leben lohnte, auch wenn sie einen Menschen unangenehm machte. Aber das war okay für ihn.
»Ich möchte keine Autopsie. Beerdige ihn in Bari, auf dem Grundstück meiner Villa!«
»Selbstverständlich.« Für den Chef der Geheimdienste war das alles ein Leichtes. Tiziano verstand es meisterhaft, Menschen und Spuren zu entfernen, für die gute Sache.
»Ach, noch etwas: Caterina ist in Bari. Ich habe sie in meine Villa geschickt.«
Tiziano schwieg. Er wusste alles über Martinellis neueste Geliebte und ihre zahlreichen Liebhaber. Mehr noch: Tiziano kannte die Geheimnisse aller Italiener. Politiker besaßen keine echten Freunde, die Chefs von Geheimdiensten aber auch nicht. Sie besaßen einfach nur Geheimnisse – diese waren ihr Schutz und ihre Lebensversicherung.
»Ich möchte sie hier in Rom haben.«
»Angenommen, sie kommt nicht?«
»Dann sorge dafür.«
Martinelli war nicht in der Stimmung, Kompromisse zu machen. Er brauchte seine Geliebte, sie musste ihm Gesellschaft leisten – vor allem jetzt, da seine Frau krank war. Und wenn Caterina nicht bald kam, konnte es sein, dass sie gar nicht mehr nach Rom hereinkam. Er bereitete sich auf das Schlimmste vor. »Das wär’s.« Der Chef tätschelte seinem Jugendfreund liebevoll die Schulter. »Lass mich nicht im Stich!«
»Bestimmt nicht.«
Einige Minuten später saß Martinelli wieder an seinem Schreibtisch. Weitere Nachrichten zur Krise im ganzen Land kamen herein. Es waren durchweg Hiobsbotschaften. Als es Nacht wurde, war die Lage so, wie er befürchtet hatte. Auf den Autobahnen und Landstraßen kam es zu Gewalttätigkeiten. Ungestraft raubten sich die Menschen gegenseitig Wasser und Lebensmittel, weil die Einsatzkräfte der Polizei nicht überall sein konnten. Nun herrschte ein anderes Gesetz – das Darwinsche. Und in den Großstädten kam eine Schlange aus ihrer Höhle, um sich am Leid der Menschen zu laben. Die Mafia – geleitet von einer spirituellen Kraft, die sie und ihresgleichen im Verborgenen beherrschte – koordinierte ihre Aktivitäten. Martinelli hatte zwar nie der Mafia angehört, hatte aber auch nie etwas getan, um sie frontal anzugreifen, und die Mafia ihrerseits hatte ihm hin und wieder, auf Anfrage, geholfen – auch bei seinem Aufstieg zum Präsidenten. Diese stillschweigende Übereinkunft zeigte nun ihre schlimmen Auswirkungen.
Um neun Uhr am Abend verließ der italienische Ministerpräsident seine Wohnung und stieg die Treppe zum Dach des Palasts hinauf. Endlich konnte er sich um seine Familie kümmern. Oder doch nicht? Während er zu dem schwarzen Helikopter ging, als dieser auf dem Landeplatz aufsetzte, lief ein Mitarbeiter hinter ihm her, um ihm eine dringende Nachricht zu überbringen. Clara, seine treue und duldsame Ehefrau,
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