Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)

menschlichen Bewusstsein, keimte und spross das Trauma, wenn die äußeren Bedingungen sich wiederholten. Vor allem für Italiener – in Italien hatte der Schwarze Tod mit besonders großer Grausamkeit gewütet – ging das Wort »Seuche« mit einem erhöhten Gefühl der Angst einher. Einer Angst, bei der Gerüchte ähnlich wirkten, wie wenn man ein brennendes Streichholz an einen leckenden Treibstofflaster hält. Aber natürlich wusste Satan das alles. Der gefallene Seraph hatte ein besonderes Interesse an Rom, wie er Johannes  XXVI . bei seinen regelmäßigen Heimsuchungen erklärte. Außerdem wusste Satan um die Schwäche der Menschen: Wird Eva zerstört – die emotionale Stabilität des Menschen –, dann stürzt Adam.
    »Dio Mio!«
    Das Meeressterben, die strenge Rationierung der Lebensmittel und des Wassers und schließlich – die Pest! Die Bürger Italiens erwachten und stellten fest, dass alle Zeitungen und Fernsehkanäle, die nicht von der Regierung oder Ministerpräsident Martinelli (was fast ein und dasselbe war) kontrolliert wurden, die verhängnisvolle Nachricht brachten: dass das Fischvirus auf den Menschen übergesprungen war und dass im Gegensatz zu allen vorhergehenden Versicherungen die Menschen sich
doch
damit anstecken konnten. Die ominöse Lungenentzündung war das Fischvirus in menschlicher Ausformung.
    Der Gesundheitsminister lügt!
    So lautet die Botschaft, die nicht nur die Zeitungen, sondern auch einzelne Ärzte und Krankenhäuser – unabhängige Zeugen der Wahrheit – verbreiteten. Endlich waren die verdeckten Bemühungen, sie zum Schweigen zu bringen, indem man die Informationen nicht öffentlich machte, durchkreuzt worden. Nur eines war noch nötig: die Nachricht, dass ein Arzt aus dem Flugzeug des Präsidenten sagte, Martinellis Sohn sei an der Epidemie verstorben. Sie war sozusagen das Streichholz am Treibstofflaster und löste in der italienischen Gesellschaft eine Reaktion aus, die sehr viel heftiger ausfiel als bei jeder anderen vorhergehenden Katastrophe. Und weil das Unbewusste der Menschen die Wirklichkeit erschafft, entfaltete sich das, was eine theoretische Möglichkeit, eine verborgene unterbewusste Angst gewesen war, als Realität. Die Panik, die im Zusammenhang mit dem Meeressterben aufgekommen war, schien nichts im Vergleich mit dem, was jetzt geschah. Kolonnen von Autos strömten aus Rom und den anderen großen Städten. Die Bemühungen des Militärs und der Polizei, den Exodus zu stoppen, wurden von der schieren Wucht des Ansturms vereitelt. Polizisten wurden niedergetrampelt und zu Tode geprügelt, Straßensperren niedergerissen, das Denken entartete zu einem psychotischen Wahn. Adam lief davon und trug sein Kleid aus Feigenblättern mit sich.
    Flieht in die Berge! Verlasst die Städte!
    Der tief in der menschlichen Psyche verankerte archaische Trieb, davonzulaufen und sich zu verstecken, wurde ausgelöst. Dieses Mal waren die Medien – indem sie sich in sensationslüsterner Absicht auf das schlimmstmögliche Ergebnis konzentrierten – zu weit gegangen. Beweise? Welche Beweise waren in einer Gesellschaft notwendig, die voller Angst war? Die Angst
war
der Beweis. Menschen würden in riesiger Zahl sterben. Aber bitte, Gott, nicht ich.
    Die Massenflucht setzte ein, als um fünf Uhr morgens im Radio und Fernsehen die neuesten Nachrichten über die Seuche gebracht wurden. Die Menschen riefen ihre Angehörigen und Freunde an und rissen sie, fast außer sich vor Angst, aus dem Schlaf. Die Regierung hat gelogen! Es hat eine Vertuschung gegeben, darum: Vertraue niemandem! Am besten war es, aufs Land zu fahren; dort war man sicherer. Das Gleiche war doch auch während des Schwarzen Todes passiert, oder? Die Städte waren zu Leichenhäusern geworden; auf dem Lande zu sein – weit weg von allen anderen – war die einzige Überlebenschance. Um acht Uhr morgens waren die Autobahnen und die Ausfallstraßen aus den größeren italienischen Städten von Pkws, Lkws und Lieferwagen blockiert – welches Fahrzeug die Leute auch immer gerade hatten oder an sich reißen konnten, ausnahmslos mit Gewalt. Fast ununterbrochen ermahnte die Regierung die Bürger über Radio und Fernsehen, in ihre Häuser zurückzukehren, aber die Leute nahmen keine Notiz davon. Das Irrationale, auch dies ein Zeichen für das Kommen Satans, begann die Psyche der Menschen zu überwältigen. Adam begann zu straucheln.
    »Wir verlieren die Kontrolle.«
    Martinelli hatte sich seit dem frühen Morgen