Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Massakern in Kairo und in den Provinzen. Und die Polizisten sind davongelaufen. Wir mussten für uns selbst kämpfen.«
Das Taxi erreichte die Außenbezirke der Stadt. Aus der Sicherheit des Autos heraus schüttelte Jussef ungläubig den Kopf. Häuser waren verbarrikadiert, Geschäfte geplündert, Hochhausblocks zerstört. Überall auf den Straßen Pkws, Lkws und Lieferwagen. Und überall Leichen und Kadaver, auch wenn Jussef hin und wieder das Quengeln von Kindern hörte, deren Eltern tot oder gefangen in verriegelten Gebäuden waren, aus denen sie nicht fliehen konnten. Für Jussef war es eine Vision der Hölle – eine Stadt der Trostlosigkeit und Verlassenheit.
»Wie überleben die Menschen?«
»Sie plündern«, erläuterte Hassan. »Wir leben von Lebensmittelkonserven. Die Leute haben das ganze Gemüse aus den Gärten gestohlen.«
Während sie sich der Kirche näherten, fuhr das Taxi langsamer, weil es um die Berge aus Müll, um die aufgegebenen Fahrzeuge und Toten herumfahren musste. Mehr als einmal stieß es gegen eine Leiche. Jussef saß entsetzt und schweigend da. In seiner Phantasie hatte er sich früher ausgemalt, wie die Apokalypse aussehen würde – nicht wie das hier. Wo war Gott?
Pater Hassan spürte, welch Qualen sein Mitbruder litt. Er berichtete weiter: »Jussef, die meisten Gemeindemitglieder sind tot. Jeden Tag lese ich die Messe, die Menschen kommen aus der ganzen Stadt. Alle möglichen Menschen. Sie kommen, weil sie nicht zu Hause sterben wollen. Auch wir müssen achtgeben. Es gibt Diebesbanden und Mörder.« Hassan erschauderte. »Du machst dir ja keine Vorstellung, wie es hier gewesen ist! Du kannst von Glück reden, in dem Kloster gewesen zu sein. Die Banden morden, um an Lebensmittel und Wasser zu kommen. Es sind Tiere.«
Schließlich trafen sie vor der Kirche ein. Das Eingangstor zum Grundstück war mit einem Vorhängeschloss und einer dicken Gliederkette versehen. Der betagte Priester stieg humpelnd aus und schloss es auf, so schnell er das in seinem hohen Alter konnte. Das Taxi war kaum auf dem Kirchengelände, da brachte er die Kette wieder an. Miriam fuhr seitlich an der Kirche entlang und hielt unmittelbar vor dem zweistöckigen Seminargebäude. Sie stiegen aus. Die geschnitzte Teaktür war durch eine Stahltür ersetzt worden. Hassan schloss sie auf, und sie betraten das Gebäude. In dem einst lichtdurchfluteten Gang herrschte jetzt eine grabesähnliche Düsternis. Hassan riss ein Streichholz an und hielt es an eine auf einem Regal stehende Kerze.
»Jussef, halt mal! Die Priesterschüler haben Fensterläden angebracht. Vor einer Woche ist der Strom ausgefallen, Wasser gibt es seit drei Tagen auch nicht mehr.«
Sie gingen ins Obergeschoss, wo die Priesterzöglinge die innere Holztür durch eine weitere Stahltür ersetzt hatten. Vom Flur gingen vier Zimmer ab, das von Pater Hassan am hinteren Ende. Sie betraten dieses Zimmer. Hassan ging zum Fenster und öffnete den Laden ein wenig, um Licht hereinzulassen. Miriam verließ den Raum.
»Wir sind in Sicherheit!«, rief der alte Mann erleichtert. »Ich hätte nie gedacht, dass wir es schaffen. Wir haben deine Sachen ins Nachbarzimmer gebracht, weil wir das Erdgeschoss abgeriegelt haben. Miriams Zimmer liegt neben deinem.«
»Wie bitte? Das können wir nicht zulassen«, sagte Jussef entsetzt. »Wir sind Priester!«
»Sei still!«, antwortete Hassan mit ebenso entschiedener Stimme. »Das ist alles vorbei, Jussef. Sie ist eine von uns. Diese junge Frau, sie hat den Mut einer Löwin.« Als er sah, dass sein Gefährte immer noch beunruhigt war, senkte er die Stimme. »Weil es keine Polizei mehr gab, ist die Stadt im Chaos versunken. Menschen wurden wie Hunde getötet, Frauen wurden … Lass uns nicht davon sprechen! Wir müssen Miriam schützen. Ihr Vater wurde abgeschlachtet, als er versuchte, einem unserer Gemeindemitglieder beizustehen. Miriam!« Er hob die Stimme und rief: »Der Tee ist fertig. Jussef, schau mal aus dem Fenster!«
»Wie viele sind noch da?«
»Wenige. Sehr wenige. Miriam, hier ist dein Tee.« Hassan reichte der Eintretenden die gefüllte Tasse. »Wir haben die letzten drei Wochen hier in diesen Zimmern verbracht. Ich schließe die Kirche kurz vor sieben auf, wenn die Leute zur Messe kommen. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen so viele wie möglich zusammentrommeln. Wie auch immer, du wirst es heute Abend sehen.«
Jussef saß im selben grünen Sessel, in dem er immer saß, war aber durcheinander. Was war mit
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