Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Josua? Vielleicht hätte er ihn doch nicht im Kloster zurücklassen sollen. Hassan lehnte sich in seinem Sessel zurück und nippte an seinem Tee.
»Wenn ich als Nächster die Seuche kriege, besteht kein Anlass, mich zu bestatten. Miriam, bitte kümmere dich um Pater Jussef. Und du, Jussef, versprich mir, dass du dich um Miriam kümmerst.«
Jussef blickte zu ihr hinüber. Sie trug keinen Schleier mehr. Langes braunes Haar, leuchtende grüne Augen und ein gütiges Gesicht. Er konnte gut verstehen, warum Josua sich in sie verliebt hatte. Und hier war er – nach einem Leben im Zölibat – im Begriff, in einem Zimmer neben einer Frau zu schlafen, die halb so alt war wie er. War das eine Todsünde?
»Wird gemacht«, sagte er.
* * *
Es begann zu dämmern. Um zehn vor sieben gingen Pater Hassan und Jussef nach unten; Miriam blieb allein im Seminargebäude zurück. Die beiden schlossen die Tür hinter sich und gingen zur Kirche hinüber.
»Du machst die Kirchentür auf.« Hassan gab Jussef einen Schlüssel. »Und ich öffne das Tor. Wundere dich nicht, wer da kommt!«
Die beiden Priester trafen sich in der Sakristei wieder. Dort hatte sich nichts verändert. Sie zogen erst ihre Chorhemden an, dann die prachtvollen Gewänder der koptischen Priester.
»Ich setze während der Messe keine Schutzmaske auf«, sagte Hassan schlicht. »Ich möchte nicht, dass die Leute denken, ich hätte Angst vor der Seuche. Und wenn ich sterbe, na und? Ich werde morgen neunundsiebzig und möchte nicht mehr leben. Ob du die Maske aufsetzt oder nicht, ist deine Entscheidung. Ich glaube sowieso nicht, dass diese Dinger funktionieren.«
Jussef zögerte. Er setzte die Schutzmaske auf und nahm sie wieder ab. Es hätte würdelos ausgesehen.
»Komm, zünde mit mir die Kerzen an, bevor wir die Tür aufmachen, sonst kann niemand etwas sehen.«
Hassan zündete zwei große Kerzen an und gab eine seinem Gefährten. Gemeinsam gingen sie zum Mittelschiff. Auf den hohen Rücklehnen der hölzernen Kirchenbänke standen Kerzen. Hassan bedeutete Jussef, er solle die auf der linken Seite der Kirche anzünden, während er die auf der rechten Seite anzündete.
»Nicht zu viele«, sagte er.
Jussef tat es und bemerkte dabei, dass Wachs auf die Kirchenbänke und auf den Boden getropft war. Was hätten die bedauernswerten Reinmachefrauen wohl gedacht, nach all den Jahren ihrer mühevollen Arbeit? Als die Kerzen brannten, öffnete Hassan die Kirchentür. Wieder machte er seinem Gefährten ein Zeichen, dann gingen sie zum Altar und setzten sich auf ihre üblichen Plätze rechts davon. Sie senkten den Kopf zum Gebet, während sie auf die Kirchgänger warteten. Der Altar war leer, ohne Schmuck.
»Man hat uns die silbernen Kelche gestohlen«, flüsterte Hassan. »Die Kerzenhalter habe ich versteckt. Wein haben wir auch keinen mehr. Aber trotzdem.«
Ohne dass er es wollte, blickte Jussef immer wieder hoch. Viele Menschen kamen in die Kirche, alle trugen Schutzmasken. Jeder nahm eine Kerze und suchte sich dann einen Platz auf den Bänken. Die meisten hielten ziemlich großen Abstand zum Nächsten, aber Jussef fiel auf, dass ganz vorn einige von den alten Gemeindemitgliedern saßen, beinahe aneinander gekuschelt. Waren sie die einzigen Überlebenden?
»Was ist mit der Kathedrale?«
Mit erstickter Stimme antwortete Hassan: »Ist niedergebrannt. Ich habe vergessen, es dir zu sagen.« Er beugte sich hinüber, es war Zeit, es seinem Freund zu erzählen: »Jussef, es sind auch noch andere Leute hier. Die Synagoge wurde zerstört, alle Rabbiner wurden getötet, also habe ich den Juden gesagt, sie sollen herkommen. Muslime sind auch da.«
»Muslime? Aber …«
Hassan packte ihn am Arm, er wusste schon, was Jussef sagen wollte. »Viele Moscheen sind ebenfalls zerstört worden. Das ist alles des Allmächtigen Wille. Es ist Zeit, mit dem Gottesdienst zu beginnen.« Er stand auf von seinem Stuhl und sagte laut: »Wir erheben uns.«
Am Altar stehend blickte Jussef auf die Gemeinde. In der Düsternis sah er keine Gesichter, nur siebzig oder mehr Kerzen, die im Dunkeln flackerten. Als es zur Schriftlesung kam, nahm Hassan eine kleine Bibel, die auf dem Altar lag.
»Ich werde nun einen Abschnitt aus der Bibel lesen, nur einen«, flüsterte er. »Die Menschen müssen wieder nach Hause.«
Der alte Priester begab sich zum Pult. Statt der üblichen Heilsbotschaft verlas er eine Stelle, über die er am frühen Morgen meditiert hatte.
»Darum schickt Gott, der Herr der
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