Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Kirche zu gehen, wie er es normalerweise getan hätte, steuerte er auf die Sakristei zu. Erleichtert aufseufzend traf er dort ein und entzündete eine Kerze, damit er sich der braunen Kutte entledigen und sein Kirchengewand anziehen konnte. Er wählte das beste Chorhemd aus, das sie hatten: Hassan hatte es getragen. Als er den wackligen Kleiderschrank schloss, quietschte dieser leicht – genauso, wie er das seit vierzig Jahren tat. Die Wahrheit war, dass er und Hassan im Laufe all der Jahre die Kirche vernachlässigt hatten – teils, weil sie nie das nötige Geld gehabt hatten, teils wegen ihrer Lethargie. Sie waren durchschnittliche Priester gewesen wie so viele andere, die in diese Welt gekommen und von ihr gegangen waren. Sie hatten mit ihrer Gemeinde ein mageres Dasein gefristet. Aber am Ende ihres Lebens waren sie mit einem geheimnisvollen Gast gesegnet worden. Josua. Hoffentlich würde der ihn bis zum Gipfel des Berges tragen.
Jussef ergriff einen silbernen Kerzenhalter und ging über den Flur in die Kirche. Mit der brennenden Kerze schritt er durch den Mittelgang und entzündete die Kerzen oben auf den Kirchenbänken. Würden zehn Reihen ausreichen? Er fand, ja. Ihm war nicht mehr so bang zumute, als er die Kirchentür aufschloss und dann die Stufen hinunterstieg, um das Eisentor zu öffnen. Er kehrte zu seinem Platz am Altar zurück und wartete. Würde jemand kommen? Und würde morgen noch jemand am Leben sein? Schließlich erschienen zwanzig Menschen, von denen er niemanden kannte. Um sieben las er die Messe, wobei er häufig aufblickte, weil er fürchtete, dass Räuber oder noch bösere Leute die Kirche betreten könnten – was aber nicht geschah. Er las die Stelle, die Hassan aufgeschlagen hatte.
»Dann bestrafe ich den Erdkreis für seine Verbrechen und die Bösen für ihre Vergehen. Dem Hochmut der Stolzen mache ich ein Ende und werfe die hochmütigen Tyrannen zu Boden. Die Menschen mache ich seltener als Feingold, die Menschenkinder rarer als Golderz aus Ofir. Dann wird der Himmel erzittern, und die Erde beginnt an ihrem Ort zu wanken wegen des Grimms des Herrn der Heere am Tag seines glühenden Zorns.
Man sticht jeden nieder, dem man begegnet; wen man zu fassen bekommt, der fällt unter dem Schwert. Vor ihren Augen werden ihre Kinder zerschmettert, ihre Häuser geplündert, ihre Frauen geschändet.«
Jussef las die Worte, mit schwerem Herzen und großer Mühe. O ja! Gott sprach im Alten Testament oft von Erbarmen, doch offenbar fiel es ihm schwer, dieses auch zu praktizieren. Nun, so war’s eben. Er beendete die Messe, und seine winzige Gemeinde verließ die Kirche. Er schloss das Tor und dann die Kirchentür. Morgen würde er jenen, die kamen, mitteilen, dass er sich entschlossen habe, die Kirche zu schließen, und dass er und Miriam in die Wüste zurückkehren würden. Jussef ging zum Altar und löschte die Kerzen. Dann begab er sich zur Sakristei. Plötzlich flackerte die Kerze, die er in der Hand hielt, und erlosch. Als er über die Schwelle trat, traf ihn der erste Schlag. Er stürzte.
»Wo ist die Frau?«
Während er auf dem Boden lag, versetzte ihm ein Schuh mit einer Stahlspitze einen Tritt zwischen die Rippen, eine brach. In der Düsternis umringten ihn drei Männer und begannen, mit Fausthieben auf ihn einzuschlagen.
»Bitte.«
Zwei der Räuber hieben weiter wie verrückt auf ihn ein, während der dritte alle Schubladen und Schranktüren aufriss und nach Geld und Silber suchte.
»Die Schlüssel. Wo sind die?«
Blutblasen bildeten sich in Jussefs Mundwinkeln, als er einen Fußtritt ins Gesicht bekam. Fieberhaft steckte er die Hand in die Tasche seiner Kutte und hielt den Schlüssel in der geschlossenen rechten Faust, um ihn zu verbergen. Doch die Bewegung wurde entdeckt. Ein Stiefel trat auf seine Hand, brach sie und zwang sie auf.
»Hab ihn«, rief eine rauhe Stimme triumphierend.
Kaum bei Bewusstsein, hörte Jussef die Worte. Wie konnte ein Mensch so schlecht sein? Wie konnte ein Mensch so böse sein? »Bitte«, sagte er wieder und erflehte damit Gottes Beistand für Miriam, nicht für sich. Er versuchte aufzustehen, doch wieder traf ihn ein Hieb und brach ihm das Kinn. Vergebung? Wie konnte jemand diesen Tieren vergeben? Was, wenn sie an seiner Stelle gewesen wären? Auf dem Boden liegend und stark blutend, hörte Jussef die Räuber darüber sprechen, was sie Miriam antun würden, wenn sie sie fanden. Nachdem sie die Kirche durchsucht hatten, ließen sie ihn
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