Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Verwaltung, das wusste der Pontifex, in Flammen stehen. Es würde Wut und rechtschaffene Empörung im Vatikan und in der Kirche insgesamt herrschen. Es würde Interventionen geben von Kardinälen, von Erzbischöfen, von allen klerikalen Rängen, hohen und niedrigen, dass er seine Entscheidung zurückzog. Es würde Beschwerden, Klagen, Drohungen und Demissionen hageln. Seine Mitarbeiter würden Himmel und Erde in Bewegung setzen, damit er seine Anweisung zurücknahm, und auch die Laienschaft würde sich einschalten. Doch er, Johannes XXVI ., würde zu seiner Entscheidung stehen. Er trat wieder ans Fenster und schaute hinaus. Würden ihm die anderen Kirchen in seinem Entschluss folgen? Würden die Juden und die Muslime etwas geben? So wie seine Kirche brüsteten auch sie sich ihrer Freundschaft mit Gott. Aber waren das vielleicht nur leere Worte, war das vielleicht nur pharisäerhafte heiße Luft?
Nach einer Weile verließ der Papst seine Bibliothek und begab sich zum Geheimarchiv. Es war an der Zeit, Leid zu verbreiten – das Einzige, was es umsonst gab auf dieser Welt.
In seinem Allerheiligsten, geschützt vor der Welt und beinahe auch vor der Wirklichkeit, saß der Präfekt am Schreibtisch. Pater Gabriele war glücklich – er gab sich einem Glücksgefühl hin, wie es nur ein Bibliothekar empfinden konnte.
Auf dem Schreibtisch lag ein seltenes Objekt des Entzückens. Als kürzlich eine Privatsammlung früher russischer Literatur versteigert worden war, hatte die Käuferin eines Buchs auf der Rückseite des Textes aus dem frühen 17. Jahrhundert ein kleines, unter dem Ledereinband verstecktes theologisches Traktat entdeckt. Weil sie es nicht lesen konnte, hatte sie es ihrer Kirche gespendet, woraufhin es auf Umwegen schließlich in den Besitz des Geheimen Archivs gelangt war. Gabriele berührte das brüchige Pergament mit unverhohlener Freude. Der sehr alte Text stammte wohl aus dem 7. Jahrhundert, er war Teil einer Übersetzung des alttestamentarischen Buches Hiob und befand sich, angesichts des Alters, in einem hervorragenden Zustand. So versunken war Gabriele in die Betrachtung dieses Wunders, dass er nicht bemerkte, wie jemand sein Reich betrat.
»Es tut mir leid. Bitte verzeihen Sie mir!«
Der Pontifex bedeutete ihm, er solle wieder Platz nehmen.
»Pater Gabriele, wir müssen anfangen, die Bücher zu verkaufen.«
»Bücher?«
»Die Bücher in der Vatikanischen Bibliothek und im Geheimarchiv«, sagte der Papst. »Die Kirche muss Indien das geben, was ihr gegeben wurde, um der Bedürfnisse der Armen willen.«
Wie im Fall der päpstlichen Berater spiegelten sich auch in der Miene des Präfekten erst Nichtverstehen, dann Verstehen und schließlich Verzweiflung. Es war, als hätte ihm jemand gesagt, sein Vater werde seine Mutter umbringen. Chamäleonartig wandelte sich die Farbe seiner Wangen von tiefem Rot zu totenblassem Weiß. Die Bücher verkaufen?
Seine
Bücher verkaufen? Aber sie waren doch sein Beruf, seine Familie, sein Leben. Sie waren sein Ein und Alles – äh, das Ein und Alles der Kirche. Das konnte doch nicht wahr sein!
»Ich weiß.« Der Papst bemerkte die Leiden des Präfekten. »Aber es wird alles noch schlimmer werden. Wir müssen den Bedürftigsten helfen. Das ist doch der Grund, weshalb wir auf Erden sind, oder?«
Der Präfekt befingerte den sehr alten vor ihm liegenden Text, widerstand aber dem innigen Wunsch, ihn an die Brust zu drücken. Tränen traten ihm in die Augen. Man hatte ihn gebeten, freizugeben, was er am meisten liebte, und das tat weh, unerträglich weh. Er sollte sich weigern. Aber das durfte er nicht, oder? Tief im Inneren wusste er, dass er den Anordnungen dieses Mannes – des Stellvertreters Gottes auf Erden – nicht zuwiderhandeln durfte. Der Präfekt schuldete der Kirche und dieser Person sein Leben – und Gehorsam.
»Es wird alles noch schlimmer kommen? In der Welt da draußen?«
Der Pontifex neigte den Kopf.
»Also gut.« Der Präfekt legte die Hände auf den runden Bauch. »Ich werde dem Wunsch Eurer Heiligkeit entsprechen, ich werde anfangen, die Bücher zu verkaufen.
Unsere
Bücher. Um den Armen zu helfen.« In Gedanken suchte er verzweifelt nach einer Rechtfertigung für dieses frevlerische Tun – diese Plünderung der wertvollsten Besitztümer der Kirche (denn sie litt, ungeachtet aller gegenteiligen Beteuerungen, an dem gleichen Wunsch wie die Welt – dem Wunsch, etwas für sich zu besitzen). Ein winziger Lichtstrahl erhellte seine
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