Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
der aussah, als würde er sich im nächsten Augenblick selbst vernichten, der andere zufrieden lächelnd. Ein Moment in der Zeit und doch für immer festgehalten.
»Geh und pack deine Sachen! Ich verabschiede mich von Hassan«, sagte Jussef.
Er ging am Altar vorbei durch einen düsteren Flur in die Sakristei. Ein kleiner Raum mit einem Schrank, einer Eichenkommode, in der Messgewänder aufbewahrt wurden, und zwei Stühlen. Wie oft hatten er und Pater Hassan hier nach der Messe zusammengesessen und über Gott und die Welt geplaudert. Jussef trat an ein Fenster und schaute auf seinen – nun ja, seinen und Pater Hassans – Garten. Olivenbäume, Palmen, Kräuter in an der Wand hängenden Körben und ein Gemüsebeet. Wie oft hatte er auf einer Bank im Schatten gesessen und seinen Priesterzöglingen gezeigt, wie sie umgraben sollten! Seufzend verließ er die Sakristei und ging nach draußen. Rechts hinter einem wackligen alten Gartenschuppen (den er schon lange reparieren wollte) stand das zweigeschossige Seminargebäude mit den Räumen, die die Priester und ihre Zöglinge beherbergten. Er öffnete die Holztür und stieg eine Holztreppe in den ersten Stock hinauf. Am Ende des Flurs klopfte er an Hassans Tür.
Eine Stimme bat ihn, einzutreten.
»Pater Jussef! Unser Held ist zurückgekehrt!«
Pater Hassan hatte es sich in einem alten grünen Sessel gemütlich gemacht. Außerdem verfügte das Zimmer über ein Bett, einen Tisch und jede Menge Topfpflanzen auf dem Fensterbrett – Pflanzen, die nicht gut gepflegt waren – aber zumindest die gute Absicht war da.
»Wie ist es dir in Rom ergangen? Hast du den Papst getroffen?«
Jussef setzte sich auf den anderen verblichenen grünen Sessel. »Ja.«
»Du machst Witze.« Das Gesicht des Achtundsiebzigjährigen verzog sich zu einem Lächeln.
»Nein. Ich habe ihn tatsächlich getroffen. Aber mir ist etwas Furchtbares passiert. Etwas ganz
Furchtbares
.« Er betonte das Wort so melodramatisch wie ein Shakespeare-Darsteller. »Wir können nicht bleiben. Der Patriarch«, Jussef senkte die Stimme ehrfurchtsvoll, »hat uns zum ›Heiligen Antonius‹ abgestellt.«
»Meinst du die Kirche?« (Es gab eine in Alexandria).
»Nein, das Kloster.«
»Meine Güte!«, sagte Pater Hassan. »Warum das denn?«
»Keine Ahnung. Aber wir müssen sofort aufbrechen. Mir gefällt das alles nicht, da geht etwas ganz Sonderbares vor. Ich mache mir Sorgen, dass wir nicht zurückkommen.«
»Natürlich kommst du zurück«, sagte Pater Hassan trocken. Der arme Jussef! Er neigte dazu, immer das Negative zu sehen, das war seine Natur. Wäre er nicht Priester gewesen, er hätte Bestatter werden sollen.
Jussef musterte seinen Freund. Das zerfurchte Gesicht, die wässrigen braunen Augen, das leise Lächeln und die unregelmäßigen, vom Rauchen gelben Zähne. Seit vierzig Jahren blickte er nun schon in diese Züge, die durch die wechselnden Jahreszeiten hindurch immer ledriger geworden waren. Und doch hatte er nie die Nuancen wahrgenommen, die ihm einen tieferen Einblick in den Menschen geschenkt hätten. In Wahrheit, erkannte Jussef, hatte er die Welt, in der er lebte, noch nie genau betrachtet. Sie war einfach an ihm vorbeigezogen – sehr ähnlich wie sein eigenes Leben.
»Ich werde mich um die Gemeinde kümmern, solange du fort bist«, sagte Hassan. »Ach, da ist noch etwas zu besprechen. Vor einer Stunde ist eine Frau zu mir gekommen, die Josua sehen möchte.«
»Wer ist sie?«
»Die Tochter des alten Taxifahrers, Miriam. Sie wartet im Garten.«
»Nein, nein«, sagte Jussef entsetzt. »Wir dürfen das nicht zulassen! Ich habe sie getroffen, als sie sich mit ihm auf der Straße unterhalten hat, bevor wir nach Rom geflogen sind. Du weißt ja, wie die Frauen sind.
Venusfallen
. Sie tun so, als seien sie unschuldig, aber«, Jussef verdrehte die Augen, »einige haben mehr Erfahrung als Prostituierte. Dazu kommt …«
»Sie ist nicht so«, antwortete Pater Hassan hastig. Jussef durfte auf keinen Fall auf sein Lieblingsthema zu sprechen kommen: den Sturz des weiblichen Geschlechts. »Sie ist völlig unschuldig.« (Er war ihr Beichtvater.) »Und ihr Vater hat uns oft geholfen. Es muss schwierig sein, ohne Mutter aufzuwachsen.«
»Also will sie Josua heiraten.«
»Das habe ich nicht behauptet. Aber ich glaube, sie hat ein Auge auf ihn geworfen.«
»Na, das darf sie aber nicht«, entgegnete Jussef aufgebracht. »Sie darf ihn nicht von seiner Berufung fortlocken. Wir leiden unter großem
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