Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Jussef eine Heidenangst. »Aber ich kann heute nicht. Ich bin Priester, ich muss mich um diverse Aufgaben kümmern. Meine Gemeinde braucht mich. Ich muss mich ausruhen …«
»Heute.«
In Jussefs Miene spiegelte sich größtes Entsetzen. Er hatte sich so darauf gefreut, seinen Gemeindemitgliedern, ja, ganz Alexandria von seinem Treffen mit dem Papst zu erzählen (natürlich ein Geheimnis, aber die konnten ja alle ein Geheimnis für sich behalten). Und da schickte man ihn in eine Klapsmühle!
»Josua, tu doch was!«, bat er. »Ich muss Pater Hassan treffen, bevor ich in das Kloster gehe. Ich muss« – er dachte sich rasch eine Lüge aus – »meine theologischen Bücher zusammensuchen.«
Schließlich gab der persönliche Assistent ein wenig nach. Der Patriarch hatte zwar gesagt, dass sie heute fahren müssten, er würde ihnen aber bis zur Abfahrt noch zwei Stunden Zeit geben. Sein Chauffeur werde sie abholen.
Auf der Fahrt nach Hause war Jussefs Herz voller böser Vorahnungen. Er wünschte, der Wagen würde so langsam wie möglich fahren. In vierzig Jahren als Priester der St.-Markus-Gemeinde war ihm nie der Gedanke gekommen, dass sie ihm fehlen könnte. Jetzt sehnte er sich nach ihr. Diese Reise in ein Kloster – diese
Verbannung
, wie vorübergehend auch immer –, das war nicht sein Ding. Er wollte bei seinen Gemeindemitgliedern und Pater Hassan bleiben, mit ihnen plaudern, sich darüber beklagen (und es genießen), wie gemächlich es hier zuging, sich nachts in seinem Zimmer im Priesterseminar entspannen und die Augen schließen. Warum hatte er das noch nie zu schätzen gewusst? Bestürzt wandte er sich an seinen Gefährten.
»Josua.«
»Wir müssen los.«
Während der Wagen in die Nebenstraße einbog, beugte sich Jussef vor, um die vertrauten Szenen in sich aufzunehmen – Szenen, die er nie richtig wahrgenommen hatte. Links die kleinen Werkstätten – Männer, die arbeiteten oder untätig, mit der Zigarette in der Hand auf dem Bürgersteig standen. Rechts die Stände, die Obst und andere Waren feilboten, während die dicken Frauen und ihre Töchter den Passanten zuriefen, sie sollten stehenbleiben und etwas kaufen. Und – oh, gesegnet seien sie!–, da stand vor der Kirche die Phalanx von Minibussen, aus denen Japaner quollen. Als Gefangener im Kloster würde er solche Szenen nicht sehen, nicht solche Geräusche hören – die kleinen Vorfälle im menschlichen Leben, die man so leicht ignorierte. Jussef stieg aus und ging durch das schwere Eisentor und die Stufen zur Kirche hinauf, Josua im Schlepptau. Die japanischen Touristen machten eine kleine Gasse frei, um die beiden durchzulassen. Ausnahmsweise hob Jussef die Hand zum apostolischen Segen. Er hatte sich entschieden. Er würde den Befehl des Patriarchen missachten. Ja, das würde er. Aber es war eine nur schwache Hoffnung. Beim Betreten seiner Kirche lächelte er der Reinmachefrau zaghaft zu, die mit schweißnassem Gesicht den rot-weißen gefliesten Boden schrubbte. Wieso hatte er das eigentlich nie mal selbst erledigt?
»Wo ist Pater Hassan?«
»Vielleicht in der Sakristei.«
Jussef ging weiter den Mittelgang entlang. Dabei betrachtete er die Gemälde an den Wänden: Szenen aus Jesaja und Hesekiel, gemalt von einem Italiener. Er hatte sie sich nie genauer angesehen. Vor dem Altar blieb er stehen: ein Steintisch mit einem grünen Altartuch darauf, dahinter ein an die weiße Wand genageltes Holzkreuz. Als er hier anfing, hatten sie die Wand neu streichen lassen wollen, waren aber nie dazu gekommen. Vierzig Jahre, und sie hatten sich nie dazu durchringen können.
»Josua, ich kann nicht mitkommen. Es würde mich krank machen, das alles hier zurückzulassen.«
Sein Gefährte hätte fast laut losgelacht, denn nach verlässlichen Quellen hatte Jussef fast sein ganzes Erwachsenenleben geklagt, dass er in einer unbedeutenden Gemeinde hängengeblieben sei und dass seine spirituellen Talente nie richtig anerkannt worden seien. Trotzdem: Jussef hatte sein Mitgefühl.
»Pater Jussef, wir müssen in das Kloster. Wir dürfen uns dem Patriarchen nicht widersetzen. Das wissen Sie.«
Den Tränen nahe wandte sich Jussef um. »Versprich mir, dass ich in meine Gemeinde zurückkehren werde!«
»Ich verspreche es; Sie werden sie wiedersehen.«
Ein Fotoapparat klickte: Ein japanischer Tourist hatte sie abgelichtet, vor dem Altar, zwei Männer in braunen Kutten, der eine groß gewachsen mit struppigem Bart, der andere klein und glatt rasiert. Einer,
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