Die Judas-Verschwörung: Mysterythriller (German Edition)
Leids ertrinken, ohne zu erkennen, dass dieses Meer von ihnen selbst geschaffen worden war und dass es möglich war, darauf zu wandeln.
»Gibt es noch weitere Punkte, die wir besprechen müssen?« Johannes XXVI . blieb am Fenster stehen. Er mochte den Vatikan nicht – diesen goldenen Käfig mit viel theoretischem, aber kaum erfahrenem Wissen über Gott. Er wäre lieber bei den Armen in seiner Heimat gewesen.
Ein anderer Vatikan-Beamter begann seine wortreiche Rede. »Es geht das Gerücht, dass das Bankensystem in New York kurz vor dem Zusammenbruch steht. Das könnte bereits in ein paar Wochen geschehen. Was wollen wir dagegen tun?«
Der Papst schwieg. Was sollte er sagen? Wollten seine Beamten wirklich die Zukunft kennen? Dass die Wehklagen auf der Erde bald so laut erklingen würden, dass sie fast bis zur Grenze des bekannten Universums zu hören wären? Aber konnten die Menschen jemals die Zukunft kennen? Er wandte sich um. Sieben erwartungsvolle Gesichter musterten seine ruhigen Gesichtszüge. Unerforschlich nannten sie viele. Aber sie waren gar nicht unerforschlich; er hatte lediglich seine Gefühle fest im Griff.
Er ging zu seinem Stuhl zurück. Die Besprechung wurde fortgesetzt.
»Sollen wir Eure Reise nach Sambia absagen? In der Hauptstadt ist die Cholera ausgebrochen.«
»Nein.«
»Unser Rat wäre …«
»Nein«, erwiderte der Papst mit fester Stimme. »Wenn ich sterbe, dann ist das nicht wichtig, die Kirche wird es auch weiterhin geben. Was sonst noch?«
Schließlich näherte sich das Treffen seinem Ende. Schweigen. Johannes XXVI . machte eine lange Pause. Das, was er gleich sagen würde, würde ganz sicher eine dramatische Wirkung auf seine Anhänger und die Kirche haben. Doch es musste getan werden. Die Jahre des Wehklagens waren vorüber. Er konnte gut Englisch und sprach langsam – wie immer. Wenn er langsam sprach, hörte zwar niemand zu, die Beamten waren zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt, doch diesmal würden sie zuhören.
»Diese Krisen werden nicht vorübergehen; sie werden sich fortsetzen. Wir müssen helfen. Alle unsere Gold- und Silberkreuze, alle Altargemälde und Geräte, die nicht nötig sind, werden verkauft, der Erlös geht an die Armen in Indien. Weil niemand sonst sie ernährt, wird die Kirche dies übernehmen.«
Man hätte eine Stecknadel zu Boden fallen hören. Die Berater schauten ihn entsetzt an.
»Heiliger Vater …« Ein Kardinal – der höchste Berater, der anwesend war – stammelte: »Ich glaube nicht …«
»Es ist meine Entscheidung«, sagte Johannes XXVI .
Er betrachtete seine Entourage; die Mienen der Männer verrieten, was sie dachten. Natürlich akzeptierten sie, dass die Kirche helfen, dass sie die Armen speisen sollte. Aber nur dann, wenn man Geld übrig hatte, was nicht häufig der Fall war. Aber dies! Das war Wahnsinn. Es bedeutete, die Güter der Kirche wegzugeben … es bedeutete den Bankrott des Unternehmens! Und was würde aus ihnen allen werden?
Die Stimme des Kardinals brachte seine Bestürzung zum Ausdruck. »Heiliger Vater, Eure Gefühle sind edel, wunderbar … Aber sie werden nicht hundert Millionen Menschen ernähren. Einige unserer Besitztümer, nun, sie sind jahrhundertealt, sie sind von unschätzbarem Wert, sie dürfen auf keinen Fall weggegeben werden.«
»Was ist wichtiger? Verhungernde Kinder oder Silberkelche?«
»Nun, natürlich die Kinder. Aber wir haben nicht die Befugnis.«
»Ich habe die Befugnis«, erwiderte der Papst. »Und mir obliegt es, die zu ernähren, die es am meisten brauchen.«
Schweigen; es wurde tief wie eine Grube. Die Berater bemühten sich, die weitreichenden Folgen dieser Anweisung zu ermessen. Aus ihrem Kornspeicher, aus ihrem Lagerhaus würde die Kirche die Armen ernähren. Um zu teilen. Aber die Folgen …
»Nicht die Schätze im Vatikan!«
»Keine Ausnahmen.«
»Und wenn wir alles weggegeben haben. Was dann?«
»Dann finden wir mehr …«
Dass womöglich eine Zeit kam, in der die Kirche selbst nicht genug haben könnte – dass sie
arm
werden könnte –, diese Vorstellung war so unaussprechlich fürchterlich, dass in den Gesichtern der Jünger ein Ausdruck trat, der Märtyrertum nahekam. War der Papst verrückt geworden? War er selbstzerstörerisch? Versuchte er, die Gans zu töten, die goldene Eier legte?
Johannes XXVI . stand auf, ein Zeichen, dass die Besprechung zu Ende war. Die Berater verließen wie betäubt die Bibliothek. Binnen Minuten würde die gesamte
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