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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Finsternis:
    Warum Gott seinen Sohn verließ,
    das ist kraft seiner Lust zur Freude;
    es ist Kampfspiel, das stets erneute
    Hangen und Bangen am Lebensbaum.
    Gott wünschte einen Sohn des Lichts;
    seine Vaterliebe ist nur ein Traum
    und sonst nichts.

    Sprach der Himmel ohne Gnaden:
    Mit Recht hat dich der Freund verraten.
    Freundschaft ist zärtliches Betrügen,
    Kopfnicken und Rückenbiegen.
    Umklammert deine Faust das Schwert
    dann freu dich du des Verrätergerichts;
    entbehren ist, was dich der Freund gelehrt
    und sonst nichts.

    Sprach die lange Einsamkeit:
    Frage nicht, was Tod und Zeit.
    Tod bist du und Zeit bist du,
    Rast und Flucht und Kampf und Ruh.
    Aus dem Knäuel der Wirklichkeiten
    wirst du am Tag des großen Verzichts
    hin vor meine Füße gleiten,
    und sonst nichts.

    Als Cornely dies gelesen, schaute sie geraume Zeit mit staunenden Augen ins Lampenlicht. Dann ging sie in ihr Schlafgemach und begann sich mit träumerischer Ruhe zu entkleiden. Sie entfernte auch das Hemd vom Körper und trat vor den Spiegel, um sich mit dem gleichen verträumten, etwas staunenden und verlorenen Blick zu betrachten. Diese Empfindung des Losgelöstseins und der Leichtigkeit hatte sie wünschen lassen, nackt zu sein. Doch sah sie nicht den eigenen Körper, sondern freundliche Gestalten umschwebten sie, deren Nähe ihr beglückend dünkte.

Siebzehntes Kapitel

    Der flüchtige Traum von Frühling war schon wieder vorbei, als Agathon an einem kalten Spätnachmittag nach Fürth kam. Er war ziemlich lange umhergewandert, ohne daß er sich entschließen konnte, jemand von den Menschen aufzusuchen, die er kannte. Es dunkelte schon, als er aus dem ersten Stock eines kleinen Hauses zu seinem Erstaunen den wolligen Kopf der Frau Olifat gewahrte. Im Nu hatte die lebhafte Dame auch ihn erkannt und winkte ihm zu, er solle hinauskommen.
    Monika saß in einem Lehnstuhl und schaute mit einem haßerfüllten Blick auf ihn, als er eintrat. Sie wehrte ihre Mutter von sich ab, die mit schmeichlerischer Geschwätzigkeit auf polnisch in sie hineinredete, darauf wandte sich Frau Olifat an Agathon und setzte ihm mit großer Zungengeläufigkeit, halb deutsch, halb französisch die Gründe auseinander, weshalb sie in die Stadt gezogen sei. Dann klagte sie über Monika, die den ganzen Tag dasitze, ohne zu sprechen, ohne zu essen, ohne zu lachen. Und wieder ergriff sie Monikas Hände und redete auf sie ein. Doch das Mädchen drehte mit einer bösartigen Gleichgültigkeit, als sei sie taub, das Gesicht nach einer anderen Richtung. Die gequälte Mutter wurde zornig; unerschöpflich entfloß ein Strom von Schmähungen ihren Lippen, und sie erhob den Arm wie zum Schlag. Dann richtete sie sich gravitätisch auf, schritt zur Tür und warf sie dröhnend hinter sich zu.
    Agathon sah sich mit Monika allein. Wieder fühlte er eine atemraubende Beklemmung ihr gegenüber. Er vermochte nichts zu reden. Ihre Wangen hatten sich, kaum daß die Mutter das Zimmer verlassen, mit einem brennenden Rot bedeckt, und ihre Augen glänzten feucht, – vor Scham und Verzweiflung. »Ich kann ja gehen, Agathon, wenn Sie nicht mit mir allein sein wollen,« sagte sie mit einer eigentümlich brüchigen Stimme, und um ihre Lippen spielte ein sinnloses Lächeln.
    Gern hätte Agathon ihre Hand ergriffen, um sie zu bitten, sie möge wieder du sagen. Aber er konnte nicht. Unüberwindliche Scheu fesselte ihn an den Platz, wo er war. »Was hast du nun eigentlich, Monika?« fragte er ruhig.
    Ihre Blicke begegneten sich zum erstenmal. Agathon hatte dabei das Gefühl, als schaue er in einen Raum mit kahlen Wänden.
    »Ich weiß es, du hast Gudstikker geliebt,« sagte Agathon, »aber deshalb mußt du noch nicht am Leben verzweifeln, Monika. Du hast ja den Kopf immer hoch getragen. Und jetzt? Was ist mit dir? Ist denn das Leben für dich weniger groß und gut geworden? Viele haben geliebt und entbehren müssen, Monika. Nun kommt bald der Frühling, und du wirst dich freuen, wenn die warme Sonne auf dich scheint, und du wirst mit Esther in den Wald gehen und deine Wangen werden wieder rot sein. Und wenn der Herbst kommt, wirst du alles vergessen haben, Monika, diesen ganzen elenden Winter wirst du vergessen haben.«
    Da richtete sich Monika auf, und über ihre Züge ging eine zuckende Bewegung. »O Agathon,« rief sie aus, »nie mehr können meine Wangen rot werden, nie mehr, nie mehr. Nie mehr kann ich in den Wald und die Sonne sehen, nie mehr kann ich vergessen, Agathon, nie mehr, nie

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