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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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zusammen, ging hin und bot ihr die Hand.
    Monika sah nicht, daß er ihr die Hand gab. Sie setzte sich oder sie sank vielmehr auf einen der herumstehenden Koffer, ließ den Blick unsicher umherschweifen und murmelte: »Du gehst fort, Stefan?«
    »Aber natürlich, Närrchen, ich muß doch,« erwiderte Gudstikker. »Begreifst du denn nicht, daß ich muß? Willst du dich nicht lieber auf den Stuhl setzen?«
    »Also du gehst fort,« wiederholte Monika mechanisch. »Du gehst fort.« Und sie wollte die Hand an die Stirn heben, ließ sie aber im Schoß ruhen. Beide Hände lagen da, schwer, aneinandergepreßt.
    Gudstikker lächelte schnell unter seinem schwarzen, koketten Bart hervor. Dann nahm er ihre Hand und sagte: »Liebes Kind, die Pflicht ruft. Dagegen ist nichts auszurichten. Wer aber sagt denn, daß ich nicht wieder komme, nicht wieder zu dir komme? Angenommen auch, wir könnten uns nicht wieder treffen, selbst diesen Fall angenommen, bliebe uns nicht die köstliche Erinnerung übrig, dir und mir? Flammen in der Vergangenheit wärmen selbst die Zukunft, sagt irgendwo ein großer Dichter. Ist es denn ein so großes Unglück, einmal vom vollen Becher des Lebens getrunken zu haben? Die Hauptsache ist, daß man einmal sich sättigt. Ich behandle ein solches Thema in meiner neuen Arbeit. Es ist außerordentlich interessant, sie werden Gift und Galle spritzen, die Herren Kritiker, aber das macht Spaß. Ich habe den Plan meiner Mutter erzählt; sie meint sogar, daß es ein ungewöhnlicher Vorwurf ist. Sie hat ihr eigenes Urteil in derlei Sachen, weißt du. Mein Gott, was hat sie aber auch durchgemacht! Bei solchen Leiden kommt man zur Philosophie, ohne es zu wollen. Nach dem Tod meines Vaters ist es ihr so schlecht gegangen, daß sie ihr Brautkleid, das Teuerste, was sie an Erinnerungen besitzt, ins Pfandhaus tragen mußte. Seit einiger Zeit kränkelt sie übrigens. Und nun, was ich dir anempfehlen will, Liebste, das ist: Ruhe, innere und äußere Ruhe. Du mußt solche Ruhe bewahren, daß unser Kind einst der Abglanz unserer besten und tiefsten Stunden sein wird. Nur dadurch können wir uns vor dem Schicksal rechtfertigen.«
    Monika hatte sich erhoben und starrte hinaus gegen den Himmel, in eine lange Linie rosenroter Wölkchen. »Nun ja,« sagte sie gepreßt. Das war alles. Ihre beiden einst so frohen, einst so frischen Augen glänzten verräterisch, und als sie mit kurzem Nicken sich zum Gehen wandte, perlte Träne auf Träne herab, ohne daß sie es zu hindern vermochte. Im Treppengang lehnte sie sich an einen Pfeiler und hielt ihre Stirn mit beiden Händen.
    Es zeigt sich, daß zweihundert Jahre das Gemüt der Menschen nicht verändern, daß dies nur eine winzige Phase ist im Prozeß der Umwandlungen. Es scheint, als ob Charaktere oder Seelen über Jahrhunderte hinweg in einer neuen Kette von Erscheinungen und Ereignissen zu neuem Dasein erwachen müssen. Es ist dann gleichgültig, ob dieser Wiedergekehrte Thomas Peter Hummel oder Stefan Gudstikker heißt.
    Als Gudstikker das Haus verließ, stieß er so heftig mit einem die Straße heraufeilenden Menschen zusammen, daß ihm der Hut vom Kopfe flog. Zornig blickte er auf, da war es Eduard Nieberding, zu dem er in letzter Zeit in freundschaftliche Beziehung getreten war. Sie wechselten ein paar verlegene Redensarten. Nieberding schien nicht allein zerstreut und abwesend, sondern auf seinem Gesicht spiegelten sich auch die Bilder aufregender Sorgen und um seinen Mund lag jener leise Ekel, in den sich bei schwachen Naturen so schnell jede Mißstimmung verwandelt. »Ich muß nach Hause,« sagte er und rannte davon.
    Er war in fieberhafter Ungeduld, eine Nachricht, die er vernommen, der Schwester mitzuteilen. Er klopfte an ihre Türe, doch sie antwortete nicht. Er drückte auf die Klinke, doch die Türe war versperrt. Er pochte stärker und rief ihren Namen, umsonst. Er ging wieder in sein Zimmer und schritt unruhig umher. Seine matten Augen lagen tiefer als sonst; seine Hände schienen ein eigenes Leben für sich zu führen, schienen stets miteinander im Kampf zu liegen, sich gegenseitig aufzureiben, worauf sie wieder lange Zeit bewegungslos und müde herabhingen. Sie schienen begierig danach, sich im Gebet zu falten, begierig nach einem Leiden.
    Nieberding hatte seltsame Gerüchte vernommen über Jeanette, die sich in einem der königlichen Schlösser aufhalten sollte. Überall im Volk gärte die Erregung über das Schicksal des Königs, eine Unruhe, die täglich zunahm, ein

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