Die Juden von Zirndorf
wachsender Haß gegen die Minister, gegen den Hof, gegen die Familie des Fürsten, denn das Volk liebte diesen Herrscher. Leute, die den König einmal gesehen, konnten ihn nie wieder vergessen. Der Eindruck seiner Person war so tief, daß, wer ihn sah, selbst ein Stück Adel in seiner Seele davontrug. Er stand so außerhalb des Gewöhnlichen und Menschlich-Alltäglichen, daß der Nimbus, der seine Handlungen umgab, ihn unantastbar machte für Kritik.
Als Cornely noch immer nicht kam, rief Nieberding die beiden Dienstboten. Sie wußten nichts. Da pochte Nieberding, von einer schmerzlichen Ahnung erfaßt, noch einmal so heftig er konnte an die Türe. Er lauschte und glaubte ein Seufzen zu vernehmen, das wie durch Tücher gedämpft herausklang.
Mit übermenschlicher Angst und Kraft stemmte er sich gegen die Türe und sie sprang auf.
Cornely lag mit nacktem Oberkörper ohnmächtig da, und Brust und Schultern waren mit Striemen bedeckt. Ihr Gesicht war entstellt, die Lippen zu einer schmalen Linie verzogen, die Brauen bogen sich angestrengt über den Lidern. Nieberding kniete nieder zu ihr, hob sie empor und legte sie aufs Bett. Bebend starrte er sie an, während sein Herz langsamer schlug.
»Cornely,« flüsterte er an ihrem Ohr.
Sie schlug die Augen auf. Dann zog sie voll Schrecken die Decke bis an den Hals.
»Was hast du getan, Cornely?« sagte Nieberding, in dessen Gesicht eine zunehmende Furcht sichtbar war.
Cornely richtete sich verstört empor und griff nach der Hand des Bruders. »Ich kann nicht mehr schweigen,« stammelte sie. »Ich habe dich geliebt, liebe dich, Eduard, es ist entsetzlich. Ich habe mein Blut gezüchtigt, den Leib gepeinigt, die Zunge wund gebissen, umsonst.«
»Schwester!« rief Nieberding und wich zurück.
»Warum mir ein solches Geschick?« fuhr sie fort. »Warum weiß ich es und kann es denken? Es gibt keine Rettung. Der Geist hat keine Gewalt, nur auf den Tod ist Hoffnung.«
Vermehrte Furcht malte sich in Nieberdings Gesicht. Er nahm Cornelys Hand und tröstete sie, aber seine Worte waren so gewicht- und überzeugungslos wie die eines Menschen, der weder an sich selbst noch an die Zukunft, noch an das Leben überhaupt Hoffnungen zu knüpfen vermag. Deshalb atmete er erleichtert auf, als das Dienstmädchen eintrat und sagte, Herr Bojesen sei da und wünsche ihn dringend zu sprechen. Er ging rasch hinaus und stand alsbald vor Bojesen, dessen Kleidung solche Spuren geheimer und mühselig verborgener Vernachlässigung aufwies, daß, wer ihn früher gekannt, nunmehr Mitleid fühlte und noch mehr als das.
»Sie wissen nicht, wo Agathon Geyer ist?« begann Bojesen ohne weitere Einleitung als einen flüchtigen Gruß.
Nieberding antwortete verwundert, er kenne Agathon Geyer gar nicht. Er wurde immer mehr verwundert durch Bojesens ruhlos zuckendes Wesen. Zahllose Male fuhr Bojesen mit der flachen Hand über die Stirn und lächelte verstört in sich hinein.
»Ich habe ja nicht gefragt, ob Sie ihn kennen,« sagte Bojesen und blickte sich mit leeren Augen um.
»Aber was gibt es denn? Was haben Sie?«
»Entschuldigen Sie, daß ich komme,« murmelte Bojesen. »Entschuldigen Sie. Natürlich können Sie nichts wissen. Aber seit heute morgen renne ich bei allen möglichen Leuten herum, hier und in Nürnberg. Deshalb komme ich auch zu Ihnen. Kennen Sie die Schrift?« Er hatte einen verschlossenen Brief aus der Brusttasche gezogen, dessen Adresse er Nieberding hinhielt.
Nieberding erbleichte. »Es ist Jeanettens Hand. «
»Jeanettens Hand, sehr richtig,« erwiderte Bojesen mit einem hämischen Zucken der Mundwinkel. »Jeanettens Hand, die in meinem Haushalt das unterste zu oberst wirft. Ich glaubte schon Ruhe zu haben vor Jeanettens Hand. Aber das braucht Sie nicht zu interessieren. Es ist nur ein Fingerzeig für meinen Biographen. Er kann meiner Lebensbeschreibung den Titel geben: ›Jeanettens Hand‹.«
Nieberding, der feige vor den Herzensqualen seiner Schwester zurückgewichen war, sah sich hier einer neuen Verwicklung von Schmerzen gegenüber. Auch ihn hatte der Gedanke an Jeanette erregt, doch Bojesen erschien ihm so überlegen an Leidenschaft, daß er Angst hatte, ihn zu einem gewaltsamen Ausbruch zu reizen. »Und was will sie? Weshalb schreibt sie an diesen Agathon?« wagte er endlich zu forschen.
»Sie bittet mich bei allem, was mir heilig ist, als obs dergleichen noch gäbe, ich solle Agathon suchen und ihm den Brief geben. Sie wisse niemand, an den sie sonst schreiben könne. Ich
Weitere Kostenlose Bücher