Die Juden von Zirndorf
freilich manche, die wieder zaghaft geworden waren und die am liebsten zurückgeblieben wären, aber zu ihnen kam Zacharias Naar. Es war, als ob er die Schwächlinge und Feiglinge am Blick zu erkennen vermöchte. Es war erstaunlich, wenn er zu ihnen sprach und sie folgsam wurden wie Hunde, wenn er seine Augen auf sie heftete und in geheimnisvoller Weise ihre Entschlüsse formte wie Ton.
Der Zug der wandernden Juden nahm nicht ab. Im Osten häuften sich Ereignisse verwirrender Art. Es kam die Kunde, Sabbatai sei zum Sultan der Türkei zu Gast geladen worden und reise nun in Begleitung seiner zwölf Jünger und einer großen Schar von gelehrten Talmudisten zu Schiffe nach Salonichi. Eine ganze Flottille von Smyrnaer Schiffen sei in seinem Gefolge, Ehefrauen hätten ihre Männer verlassen um seinetwillen, Mütter ihre Kinder, Jungfrauen und Knaben das elterliche Heim. Gold und Geschmeide flösse ihm zu aus unerschöpflichen Bornen, und die Khalifen der Bucharei, die Fürsten Afghanistans und die Rajahs von Indien schickten Perlen und Geschmeide, Gesandte, Speisen für seine Festmahle, Gewänder von Purpur und Seide und Samt. Dergleichen war wie ein Rausch für das ganze Judenvolk der Erde. Ihre Erwartung hielt kaum Schritt mit ihrer Freude, eine sinnlose Vergötterung für den Menschengott erfüllte sie und der Jude, der so leicht der Raserei in jeglicher Gestalt zugänglich ist, vergaß sein irdisches Gut und die irdischen Dinge. Engel bliesen auf Sturmschalmeien und der finstere Gott der Juden, der Moses erhoben und Pharao gezüchtigt hatte, kam selbst, um dem Messias entgegenzuschreiten. Darum war es kein Wunder, wenn Zirle sich alsbald zu ungeahnter Höhe emporgerissen fand. Ihre Seele, im Beginn dieser Mission ein wenig fremd, entstammte sich im Angesicht des Mysteriums. Ihr Wesen war nicht keusch, wer ihr gefiel, dem ergab sie sich, oft mehr aus Mitleid als aus Begierde, denn sie sah die Männer vor sich zerschmelzen wie Wachs. Dennoch blickte sie mit Schauern hinüber in jenes heilige Land, wo der Sohn des Himmels ihrer harrte, der so schön sein sollte, daß niemand ihn anzuschauen vermochte ohne geblendet zu werden. Sie empfing auf rätselhafte Art Briefe von ihm, deren Inhalt ihrem Träumen und Wachen eine Fülle von Glückseligkeit verlieh.
Einst ging sie am Haus des Knöckers vorbei und sah Rahel unter der Türe sitzen. Etwas in dem Gesicht des Mädchens zog sie an, vielleicht die hilflosen Augen oder der bleiche Mund. Sie trat näher, stellte sich vor Rahel hin, nahm ihre Hand und drückte sie sanft. Rahel schüttelte befremdet den Kopf und lächelte störrisch. Aber plötzlich konnte sie sich nicht mehr zurückhalten: es war, wie wenn etwas in ihr zerbrochen wäre: sie fiel auf die Knie und drückte ihr Gesicht schluchzend in den Schoß Zirles, die sich schmerzlich unzufrieden fand. Auf der Gasse stand Wagen an Wagen, vollbepackt zur langen, schweren Reise. Darin, und in den Mienen der alten Männer, die so besorgt waren, und doch eine freudige Zuversicht glauben ließen, lag etwas Erschütterndes für Zirle.
Der Maier Nathan wurde mit jedem Tag unruhiger, fragte seine Tochter, wann sie denn glaube, daß das Große sich ereignen würde, und holte den Rat der Frau Pesla ein, einer erfahrenen Wehmutter, von der noch in alten Chroniken zu lesen ist: daß sie mit frühem Morgen jedesmal nach dem Tempel geeylet sei, daß sie viele Jahre weder Fleisch noch Wein genossen und ohne Betten auf der Erde lag. Wenn der Nathan sein Weib betrachtete, die sich einer stillen Schwermut so ergeben hatte, daß sie oft stundenlang mit geschlossenen Augen kauerte, so wurde ihm bang in seiner Seele und seine letzte Zuflucht waren seine Kostbarkeiten. Auch tat er alles, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und dies um so mehr, je stärker er die Verachtung empfand, mit der man ihm begegnete. So errichtete er in einer Nacht einen großen Scheiterhaufen hinter seinem Haus, setzte ihn in Brand, stand davor wie vor einem Altar und betete, als das Feuer lohend gegen Himmel stieg. Entsetzt kamen Männer herbeigelaufen, ihn zu fragen, was dies zu bedeuten habe. »Ich hab' Flachs hineingeworfen,« sagte der Nathan, doch kein Mensch konnte es begreifen. »Ich faste,« fuhr er fort, »wegen eines bösen Traums, und Rabbi bar Mechasja sagt: Fasten ist dem Traum, wie Feuer dem Flachs.« Alle schüttelten spöttisch die Köpfe und gingen. Die Gerüchte, die über Rahel umliefen, wurden häßlich und abenteuerlich und bald galt sie für
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