Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
finstere Judengott ließ nicht mit sich spaßen und streckte seine grausame Hand herab, daß sie wie eine Mauer vor jenen süßen und verlockenden Zielen stand, die eine morgenländische Phantasie herausgezaubert hatte. Oft saß ein Gefährt fest im dicken Kot und fünfzig und mehr Männer mußten es unter Anspannung aller Kräfte herausschieben. Ein Wagen diente als Betzelt, und in ihm war auch die heilige Lade in kostbarem Putz aufbewahrt. Der Ober-Rabbi, der Chassan, die Rumpeln und Wolf Batsch saßen herum und sangen Lieder des Sabbatai. Boruchs Klöß in seinem Wagen hielt sein Weib umschlungen; das Mittagessen, eine fettige Mehlspeise, stand in einer zinnernen Schüssel vor ihnen, aber sie aßen nicht, sondern sahen beide stumpfsinnig in die erkaltende Speise. Dumpfe Schreie schallten in ihre erbärmliche Behausung; manche hatten ihre Hauskatzen mitgenommen, und die Tiere miauten unaufhörlich aus unauffindbaren Verstecken. Dann wurde wieder das Ächzen des Windes laut; an den spärlichen Baumalleen der Straße flogen die braunen, nassen Blätter in geisterhaftem Tanz umher, und die Äste bogen sich knarrend. Der Regen prasselte und trommelte auf die dünnen Dächer, die Achsen wimmerten, an vielen Gespannen standen die Tiere störrisch still und waren nicht fortzubringen, man mochte sie quälen oder ihnen gütlich zureden. Im Gefährt des Maier Knöcker war es ruhig, denn die Thelsela kauerte teilnahmslos in einem Winkel und in einem anderen Winkel kauerte Rahel. Nur der Nathan selbst schien froh bewegt. Aus irgend einem Grunde schien er glücklich zu sein; er zwinkerte oft freundlich mit den Augen und fragte: »Rahelchen, wann kommt das güldene Mädchen? das himmlische Töchterchen?«
    Nach drei Stunden erreichte die Karawane den Wald, der eine Viertelmeile entfernt lag. In sanfter Steigung sollte es nun bergan gehen, aber vorher wurde eine Stunde Rast gehalten. Der Wald war finster, die Zweige trieften vom Regen, der Boden war schwarz und schlammig. Ein eigentümlich klirrendes Geräusch lief wie eine Welle durch die Baumkronen. Zwischen den Stämmen in der Tiefe lagerte aufdringlich die Nacht und bisweilen war der ferne Schrei eines Wildes vernehmbar oder ein Laut wie das Schlagen einer Axt. Der Himmel war verschwunden, die Ebene war nicht mehr zu sehen, und Regenschleier und Nebelschleier machten den Pfad zu einem unsicheren Bilde. Ein Vogel flog auf und huschte scheu und hastig ins tiefere Gehölz. Über dem sumpfigen Grund lag der Tod. Fern fühlten sich alle schon der Heimat, ihren Gärten, ihren Häusern, dem Bereich ihrer Kinderspiele, dem Schauplatz ihrer Sorgen. Rahel lehnte, mit einem dicken Wolltuch geschützt, stumpf in ihrer Ecke. Dennoch fühlte sie etwas in sich, das sie von allen unterschied; sie fühlte sich edler und besser durch die vergangene Leidenschaft. Auch empfand sie schaudernd das junge Leben in sich, täglich mehr, täglich erschreckender, gleichwohl war es so märchenhaft und unglaubwürdig, dies zu tragen, daß die Seele stark wurde und sich aufrichtete, als sei sie selbst etwas Körperliches.
    Es ging zur Höhe, wo die Veste stand. Männer und Weiber waren ausgestiegen und schleppten sich zu Fuß. Die Kärrner, die für schweres Geld gemietet worden waren, weil die meisten jüdischen jungen Leute nicht mit Pferden zu hantieren verstanden, und die an der nächsten Grenze durch andere abgelöst werden mußten, machten bissige und feindselige Bemerkungen. Viele Frauen trugen ihre Kinder auf dem Rücken, in Tücher eingehüllt. Langsam und mühevoll ging es hinan. Das Geschrei der Fuhrleute erfüllte die Luft, die Zigeuner heulten durcheinander, daß es rings widerhallte wie in einem Kessel, und als einmal eine Wildsau über den Weg rannte, kreischten die furchtsamen Weiber durchdringend auf, auch Männer wurden blaß und starrten fassungslos vor sich hin. In halber Höhe begannen die Steinbrüche, die nach dem großen Frieden von Nürnberger Bürgern gekauft und ausgebeutet worden waren. Jetzt galt es, Gestrüpp und überhangende Äste aus dem Wege zu räumen, und man mußte vorsichtig sein, damit kein Rad dem Abgrund eines Bruches zu nahe kam. Drunten lagerte schwarzes Wasser und schien brunnentief zu sein. Der Regen bildete enge Ringe und der Himmel spiegelte sich darin mit düsterer Stirn. Schutt, Geröll und unbehauene Steine lagen umher; allenthalben gab es Löcher und tückische Schluchten, Heidekraut und Brennnessel wuchsen an den Hängen. Die Brüche glichen zerstörten

Weitere Kostenlose Bücher