Die Juden von Zirndorf
unrein; und doch wandelte sie umher wie im Schlaf, dachte der Wochen, wo noch die Liebe ihren Gang verschönt hatte, wo keine Nacht saumselig genug war für den frischen Trunk des Glücks – das aber war vorbei.
Am Samstag Kreszenz, den achtundzwanzigsten November, sollte der Aufbruch stattfinden. Frühe des Morgens, lang ehe der Osten sich rötete, versammelte sich die Gemeinde in der Synagoge. Die heilige Schrift wurde aus der Lade genommen und der Älteste trug sie mit gesenktem Kopf demütig und bleich hinaus, während die Gemeinde Mann hinter Mann betend folgte und der Schammes oder Schuldiener die Lichter verlöschte, die Türe fest versperrte und den großen, hohlen Schlüssel an einem sicheren Ort neben der Klauß vergrub. Dann hörte man weinen hinter vielen Wänden: es galt den Abschied vom Ort der Fron und der Verachtung.
Unsern der Mauer des Gottesackers kamen die Wagen zusammen. Regen wälzte sich her im grauenden Tag und der Sturmwind pfiff durch die Wagenzelte. Doppelt öde lagen die weiten Felder in der Dämmerung und die verlassenen Häuser schienen zu rufen, ihre leeren Fenster hatten etwas Ziehendes und Warnendes. Frauen kreischten auf dem feuchten Plan, Hunde bellten, Kinder wimmerten, die Männer riefen nach ihren Angehörigen und die Rinder brüllten. Zigeuner gesellten sich dem Zug bei und sie wurden geduldet, weil sie als Wegweiser dienen konnten; ihre Weiber riefen sich ihr gellendes Rotwelsch durch den brausenden Wind zu und aus einem verschlossenen Zigeunerwagen tönte in seltsamer Unbekümmertheit eine Geige in langen Mollakkorden. Es kam ein Bote und meldete, die freie Reichsstadt gebe den Durchzug durch ihr Gebiet nicht frei. Das nächste Ziel der Wanderung war daher die Schwedenveste im Süden. Die Besorgnis wurde laut, die Nürnberger möchten Soldaten aufbieten, um die Juden zum Bleiben zu zwingen. Manchen schien es, als ob Geschehnisse sich wiederholten von vieltausendjährigem Alter. Der Himmel gab ihnen recht; vor allen Plagen schien die Plage der Finsternis sich vorzudrängen. Der Tag war angebrochen und doch war es noch Nacht. Die Wege waren durchweicht und die Wagenräder standen tief im Kot. Zirle, der man eine Art vornehmer Karosse gegeben hatte, lehnte bleich im Rücksitz. Im strömenden Regen stand der junge Wagenseil vor dem Gefährt. Unter großer Feierlichkeit hatte er gestern den christlichen Glauben abgeschworen und war zum Jünger des Messias geworden; nun wollte er mit fortziehen, wollte alle Bande der Heimat zerschneiden, nur um unverwandt in Zirles Antlitz schauen zu können. Nicht beachtenswert erschien es ihm, daß sie die Braut des Sabbatai war; darin war so viel Überirdisches und Unsinnliches, daß ihn nichts bei diesem Gedanken beunruhigte. Er wußte nicht, daß er der Urheber des Verderbens für die Auswanderer war. Die stille Gärung unter den Christen des Hofmarkts war vom alten Pfarrer Wagenseil zur offenen Flamme geschürt worden, und noch im Lauf des Tages entstand ein Einverständnis mit den Nürnbergischen zur raschen Tat. Nur die Furcht vor dem Gloriosen und Erhabenen, die in der Stimmung dieser Tage lag, hatte bisher den feindseligen Arm gelähmt.
Um den Gottesacker vor frevlerischen Händen zu sichern, wurde das Tor mit fünffachem heiligem Siegel verschlossen. Gegen acht Uhr wurde endlich, mitten in der größten Verwirrung durch ein dreimaliges Hornsignal das Zeichen zum Aufbruch gegeben. Die Zigeuner hatten sich bereits an die mit Lebensmitteln gefüllten Wagen gemacht und rauften um Fleisch und Brot wie die Wölfe. Keiner verstand den anderen im Tumult; Ermahnungen und Ermunterungen verhallten fruchtlos. In manchen Augen tauchte jene geheimnisvolle Verzweiflung auf, die durch einen unsicheren und brennenden Glanz den Schein von Mut erhält und sich durch rastlose Geschäftigkeit unkenntlich macht. Der Lärm und das Geschrei erscholl weit hinaus, scheuchte die Krähen aus den kahlen Feldern empor und die Peitschen der Kärrner schallten durchdringend bis an den Wald hinüber und klangen zurück als ein schüchternes Echo. Die Wolken sahen aus wie zerzauste Leinwand und der ganze Himmel glich einer grauen Wüste. Am Kreuzweg nach Unterfarrnbach stieß die kleine Judengemeinde dieses Dorfes zum großen Hauptzug. Bald flatterten schlecht befestigte Zelttücher im Wind und allerlei leichte Gegenstände flogen in der Luft herum. Was half das Beten der Frommen und das fromme Deuten der Talmudisten? Was half der Glaube und die Begeisterung? Der
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