Die Juden von Zirndorf
Häusern von Riesen und hatten etwas so frisch Verlassenes, daß man oft aus einem Abgrund den ungeheuern Leib des Bewohners auftauchen zu sehen glaubte.
Es ward Abend. Dicke Pfützen von Regenwasser standen in den Höhlungen des Weges, die Räder fuhren hinein und das Wasser spritzte hoch auf. Erstaunlich war es, daß noch keiner an eine Rückkehr dachte, da doch nur Peinigungen und Mühsale zu erwarten standen. Sie blickten unerschüttert in die mysteriösen Weiten, und es war eine dumpfe Ergebung, die sie hinauswandeln hieß, verstummt vor dem unhörbaren Gebot eines Hüters in der Ferne. Wühlten Zweifel in ihrer Seele? Waren sie zu müde, mit ihren Zweifeln sich abzufinden? Zu stoisch oder zu sklavisch, den Willen der Idee zu brechen? Zu feige, um sich bloßzustellen durch Ahnungen? Ein geduldiger Fatalismus war über sie gekommen. Als es finster wurde, erhob sich ein ungestümer Sturm. Die Stämme erzitterten, die Pechfackeln verlöschten.
Auf einmal, es mochte um die sechste Nachmittagsstunde sein, erschallten von vier Seiten im Dickicht des Waldes gleichzeitig Trompetensignale. Der ganze Wagenzug hielt fast mit einem Ruck still. Ein furchtbares Schweigen, eine wahre Totenstille entstand im Nu. Alle wußten, was nun kommen würde. Da oder dort, in einer Lücke des Gehölzes erschien ein Reiter in der Tracht der Nürnbergischen Bürgersoldaten, beleuchtet von den Fackeln, die sie am Bug des Pferdes befestigt hatten. Mit höhnischem Lächeln betrachteten sie den erstarrten Zug der Auswanderer; sie verachteten die kriegerische Aufgabe, die ihnen zu teil geworden war. Die Stimme des jungen Wagenseil erschallte: zu den Waffen, zu den Waffen! Ein heiserer Schrei, erstickt durch die Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit und des Fehltritts. Da krachte donnernd eine Flinte; der greise Rabbi Elieser sank, ohne einen Laut von sich zu geben, ins schwammige Erdreich, und sein altes Blut floß ungehemmt dahin und mischte sich mit dem Regen. Jetzt wurden die Gemüter aufgerüttelt. Viele waren plötzlich wie betrunken. Sie stürzten zu den Wagen, packten, was sie gerade fanden: ein Küchengerät, einen Strick, eine Latte, einen Eisenstab, einen Besen, eine Flasche, ein altes Türschloß, Lenkriemen für die Pferde, Steine, Stöcke und Baumäste, das alles sollte Schutz geben gegen die Waffen geübter Landsknechte. Nur zehn oder zwölf hatten Flinten aufzufinden vermocht, aber da sie nicht mit der Hantierung vertraut waren, ergriffen sie sie vorn am Lauf und schwangen die Kolben drohend in der Luft. Doch schon knallten die Nürnberger von allen Seiten ihre Gewehre los und ein Knabe und zwei Frauen folgten dem Elieser in den Tod. Die Weiber begannen ein herzzerreißendes Weinen; ihr Wehklagen muß tief in den Schoß der Erde gedrungen sein, denn noch heute hört man es zur Nachtzeit dort in den Wäldern. Die Zigeuner allein verstanden zu schießen, aber sie hatten kein Ziel, denn die Pferde der Angreifer waren überaus unruhig und sprangen gequält von Baum zu Baum, während sie im Fackelfeuer ihre eigenen Schatten vor sich tanzen sahen. Viele alte Männer hockten mit fanatisch glänzenden Augen im Wagen, wo sich die Bundeslade befand, küßten die Schrift mit bebenden Lippen, beteten und sangen Psalmen. Die Kinder verkrochen sich unter die Räder, betäubt vor Schreck. Einer der Angreifer schrie auf seinem hockenden Gaul etwas von Ergeben und Umkehren, aber seine Worte verhallten, worauf er Befehl zu neuem Feuern gab. Nun mußten Boruchs Klöß und Wolf Bieresel an den Tod glauben und fielen hin und streckten sich aus. Mit ihren lächerlichen Waffen liefen die Juden auf ihre grausamen Feinde zu und fürchteten weder Sterben noch Wunden. Sie sahen nicht mehr, hörten nicht mehr, sie schrien hebräische Worte und ihre wunderliche Kleidung gab ihnen etwas Gespensterhaftes. Ein Teil stürzte zu Boden über Knorren und Wurzeln, denn das Erdreich war glatt und schlüpfrig, die nassen Zweige schlugen ihnen ins Gesicht, und dann lagen sie da und wälzten sich in konvulsivischen Zuckungen. Nichts mehr schien zu helfen, eine blutige Nacht schien im Nahen zu sein, da gellte plötzlich eine wie toll kreischende Stimme: Feuer! der Wald brennt! Und: der Wald brennt! der Wald brennt! lief es weiter in der Kette. Die Tannenstämme am zweiten Steinbruch waren wie von innen erleuchtet, in der Tiefe des Forstes stieg ein breiter Lichtkegel empor, ruhig und blendend. Die Luft war durchdrungen vom Purpur der Flammen, die nassen Blätter glänzten,
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