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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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hinaustragen. Sie wehrte sich wie von Sinnen, die Damen eilten jammernd herbei, Salomon Hecht suchte aus dem Kaminfeuer erst mit entblößtem Arm, dann mit der Schaufel die Kostbarkeiten herauszuholen, viele wandten sich feig und finster nach der Tür, der Diener sah mit eigentümlichem Lächeln in den von schwüler Luft erfüllten Raum, und auf einmal blieben alle regungslos stehen.
    Der jetzt hereintrat, ohne daß der Türsteher versucht hätte, ihn abzuhalten, war ein Greis von mehr als neunzig Jahren. Er hatte etwas wie eine seltsame Ruine; etwas gleichsam Unvergängliches war in seinem Gesicht, ein Schimmer von wandelloser Milde und Güte. An Gliedern riesenhaft, in den Augen jenes Funkeln, das man zuweilen bei alten Männern sieht, die die Jugend müde hinwanken sehen und selber niemals müde zu werden scheinen, so kam er herein und Agathon lächelte wie ein Kind, das an den Wendepunkt eines Märchens gelangt ist, wo die wohlbekannte gute Fee kommt, um die Verwicklung zu lösen. Jedermann auf den Dörfern kannte den Gedalja Löwengard aus Roth.
    Der Alte ging ohne weiteres auf seinen Sohn zu, stutzte aber, als er dessen Gesicht sah, ließ die halbausgestreckte Hand wieder sinken, nahm ruhig Platz und schaute grüblerisch lächelnd vor sich hin. Der Baron, der sich der armseligen Erscheinung seines Vaters schämte, trat mit verlegener Miene zu seinen Gästen, die sich wie eine Phalanx vor ihm aufgepflanzt hatten. Jeanette ließ sich vor dem Greis auf die Knie nieder, streichelte seine Hände und fragte: »Großvater, was ist geschehen? Warum kommst du so spät noch zu uns?« Mit einer scheuen und entsetzten Geste wandte sie sich nun zu den andern und sagte: »Er weint.«
    Der alte Gedalja packte schnell ihre Hand und lispelte ihr zu: »Sag's ihnen nicht. Sie wollen nicht sein gestört. Mein Sohn hat vergessen, daß ich nicht habe zu kaufen einen Frack. Hat vergessen, daß ich bin arm. Heut abend ist abgebrannt ganz Roth. Der Herr hat mich wollen gedenken lassen, daß es mir gegangen is zu gut im Leben. Mei Haus, mei Hof, mei bisla Vieh, alles is hin.«
    Die Gesellschaft schickte sich zum Aufbruch an. Baron Löwengard verfluchte sich und seine Tochter und vermochte kaum einen oberflächlichen Anteil an dem Unglück seines Vaters zu nehmen, dem er ein Zimmer zum Schlafen anweisen ließ. Dann forderte er Jeanette auf, ihm zu folgen. Agathon hörte ihn mit heiserer Stimme schreien ... Der Diener suchte ein vertrauliches Gespräch mit Agathon anzuknüpfen; seine Worte klangen widerlich zurück von den Wänden des verödeten Saales. Agathon schlich beschämt in seine Kammer, warf sich angekleidet aufs Lager und fiel sofort in schweren Schlaf.
    Am Morgen hörte er vom Hausgesinde, daß Jeanette verschwunden sei. Er fühlte sich darüber glücklich, ohne zu wissen warum. Die Luft war kühl und gleichsam gereinigt, als er zur Schule ging. Die Welt schien neu. Am Morgen hat alles nur ein Auge nach dem Licht hin; alles hat Zweck, Bedeutung, Form und Rundung, alles ist mit Frieden gesättigt, die Dächer glänzen, die Sonne taucht langsam auf mit kupferigem Glanz, der Rauch erhebt sich kerzengerade, jeder Schornstein ist ein Bild des Emporstrebens. Die Mägde haben weiße Schürzen, die Bäckerbuben pfeifen, über die große Brücke rollt der Schnellzug, aus dem rätselhafte, übernächtige Gesichter in die überschwemmte Ebene schauen; die Schranke am Dambacher Weg ist geschlossen, ganze Reihen von Ochsen stehen da und warten gutmütig. Und zwischen den Häusern verschwindet der Zug, rasselnd, polternd, pustend, und Agathon hört, wie er mit schrillem Pfiff am Bahnhof hält, und seine Sehnsucht eilt hin und steigt ein, um in ihr geheimnisvolles Vaterland zu fahren. Er geht gerade am Haus des Abraham Porkes vorbei, der Millionen besitzt und als edler Menschenfreund bekannt ist; über eine halbe Million hat er für das Waisenhaus vermacht. Es gibt viele Dinge, die Agathon bewundert, und er liebt die Menschen. Die Wandlung, die er seit kurzem durchgemacht, kommt ihm merkwürdig vor. Er weiß, daß es neu ist, was er fühlt, aber er will sich nicht durchforschen. Es ist, als ob man in seinem Herzen etwas baue, und er will warten bis es fertig ist. Er denkt an jenes Bild der Stationen, wo der nackte Jüngling mit einer Zange dem Heiland die Dornen von der Dornenkrone nimmt. Und während er daran denkt, erschrickt er, bleibt stehen und lauscht. Aber es pfeifen nur die Bäckerjungen in ihrem monotonen Diskant.
    In der Schule

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