Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
Vom Netzwerk:
seines schlechten Gewissens vergeblich zu bemänteln.
    »Was berechtigt Sie zu einer so grausamen Folter?« fragte Gudstikker finster.
    »Er huldigt der Unzucht, verstehen Sie, und das muß bestraft werden. Da alle andern Mittel vergebens sind, muß er bestraft werden. Seine Mutter selbst hat ihn hergebracht, mir allein steht es zu, über seine Bestrafung zu entscheiden. Was haben Sie hier zu suchen und dieser nichtsnutzige Bengel, wessen erfrecht er sich?«
    »Wollen Sie mir den Knaben für einige Tage überlassen?« fragte Gudstikker nach einigem Nachdenken. »Ich werde ihn heilen. Ich habe mich wissenschaftlich mit solchen Dingen beschäftigt.«
    »Sind Sie Jude?«
    »Nein.«
    »Dann bedaure ich. Bedaure lebhaft.«
    »Aber Herr Direktor,« erwiderte Gudstikker sanft. »Bei Ihrer Vernunft und Bildung müssen Sie doch einsehen, daß hier die Frage der Konfession von geringer Wichtigkeit ist. Ich bin wohlbekannt in der Stadt. Ich bringe den Knaben zu meiner Mutter, Frau Elise Gudstikker, und sobald Sie ihn zurückverlangen, können Sie ihn haben.«
    »Ja, wenn Sie glauben,« meinte der Vorsteher unentschieden. »Gut«, sagte er dann, »auf acht Tage; vorausgesetzt, daß nichts geschieht, was die Religion beleidigt. Du kannst mit diesem braven Mann gehen, Sema Hellmut. Marsch! Troll dich', Ungeratener.«
    Gudstikker ging mit den zwei Knaben. Er lachte in sich hinein. Er wußte, daß der Vorsteher froh war, den Knaben los zu sein.
    Zu Hause fand er die Mutter unpäßlich. Sie lag auf dem Sofa, sah etwas bekümmert aus, forderte ihn aber gar nicht auf, zu erklären, wie er zu den Kindern komme. Sie kannte sein jäh und abenteuerlich handelndes Wesen gut genug. Sie kannte auch seine redselige und mitteilsüchtige Natur zu sehr, um sich neugierig zu zeigen. Sie hatte eine eigentümliche Strenge im Gesicht, einen Blick, von dem man glaubte, daß er den Körper wie Glas durchdringe. Den jüdischen Knaben sah sie an, lachte leise und hart, betrachtete seine langen, dünnen Finger, das abgesetzte Handgelenk, nickte Stefan zu, legte sich ruhig wieder hin und sah mit spöttischem Lächeln in die Lampe.
    »Können sie hier schlafen, Mutter?« fragte Gudstikker.
    Der Judenknabe schien alles tief in sich aufzunehmen, was er sah und hörte, dem Spiel seiner Augen nach zu schließen. Die einfache und gemütliche Stube mit dem weißen Kachelofen, der leise in sich hineinbrummte, die Nacht draußen mit dem einförmigen Flußgerausche, die stille Lampe, die alten Bilder an den Wänden, er besah es mit scheinbar verächtlicher Gelassenheit, doch mit einer gewissen inneren Unruhe. Er schien wenig empfänglich für die unaufhörlichen Liebkosungen seines Freundes, doch tauchte bisweilen sein Blick angstvoll in den des kleinen Zerlumpten.
    »Nun, das ist doch jüdische Degeneration, wie sie im Buch steht,« sagte Gudstikker zu seiner Mutter.
    »Ich weiß nicht, was im Buch steht,« entgegnete sie lakonisch. »Eigentlich sind die Juden viel bessere Menschen als wir, edlere Menschen. Sie trinken nicht, sie betrinken sich nicht, sie stehen besser da in der Welt als wir. Wenn bei uns nicht alles aus dem Leim geht, haben wirs den Juden zu danken.«
    »Im Gegenteil. Sie sind ein Geschlecht von Zerstörern. Ich bin der Ansicht, daß unsere ganze Kulturkrankheit Judentum heißt.«
    »Wer weiß, vielleicht heißt sie auch anders«, entgegnete Frau Gudstikker mit feinem Lächeln. »Das sind so Worte, mein Lieber. Ich bin zu dumm dazu!«
    Gudstikker schwieg und verfolgte ein wunderliches Schauspiel zu seinen Füßen. Der große Bernhardinerhund erhob sich aus der Ofenecke, tappte zu den zwei Knaben, beschnüffelte den kleinen Zerlumpten, brummte, (er war kein Freund der Kinder), beschnüffelte Sema, und statt wieder zu brummen, leckte er die Hand des Knaben, ließ sich neben ihm nieder und blickte gespannt in dessen Gesicht, als ob er einen Befehl erwarte.
    Am andern Tag gegen Mittag, kurz nachdem er aufgestanden war, bat Gudstikker seine Mutter um Geld. Sie erwiderte, daß sie schwer etwas entbehren könne, er möge einstweilen seine Uhr versetzen.
    »Mutter,« erwiderte er ernst, »du weißt, daß das gegen meine Natur geht. Willst du aushelfen oder willst du nicht?«
    Sie gab, was sie konnte. »Wie lange wird es noch dauern, bis deine großen Ideen verwirklicht sind,« sagte sie sarkastisch seufzend. »Dein Wahn ist nicht billig.«
    Gudstikker lachte verächtlich und ging. Nach dem Essen begab er sich ins Cafehaus, vergrub sich in Zeitungen,

Weitere Kostenlose Bücher