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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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der Baron ein Vetter seiner Mutter war, hatte er Stefan Gudstikker stolz verschwiegen. Sem geschärftes Ohr vernahm durchdringender den Lärm des Festes und es war, als ob ihn eine Stimme riefe. Dunkle Sehnsucht ließ ihn zittern vor Ungeduld; er sprang aus dem Bett, warf sich wieder in die Kleider und, die Augen noch umschleiert von der Finsternis, stieg er die Treppe hinab mit dem Bewußtsein einer Schuld. Es war ihm gleich, wohin er kam; er öffnete im zweiten Stock eine Tür (deutlicher hörte er Musik und Tanz von unten) und befand sich in einem großen Salon, der noch warm war von erloschenem Kaminfeuer. Er lächelte, die Musik unter ihm ließ die Dunkelheit rings gleichsam erbeben.
    Da hörte er vom Nebenzimmer ein Geräusch, wie wenn jemand weint und will es nicht hören lassen. Agathon ging hin, öffnete die Tür und stand nun verlegen und bestürzt vor seiner Base, zu deren Verlobung das prunkvolle Fest im Hause gefeiert wurde. Sie saß vor einer Kerze und schluchzte in ihr Taschentuch.
    Jeanette blickte auf, und vor Erstaunen brachte sie kein Wort hervor. Endlich fragte sie heiser, was er hier zu suchen habe.
    Agathon zuckte die Achseln. »Nichts,« antwortete er. »Ich habe dich weinen hören.«
    »Von oben? Von deiner Kammer?«
    Agathon wurde bleich und ließ den Blick verächtlich durch den geschmückten Raum schweifen. »Nein,« sagte er, »nicht von meiner Kammer«.
    »Nun?«
    Agathon schwieg. Die großen, von Tränen nassen Augen des Mädchens erweckten ein Gefühl von Niedrigkeit in ihm. Jeanette nahm ihn bei der Hand. »Nun gestehe. Weshalb bist du gekommen? Hast du Hunger? Dann soll man dir geben, was du willst. Auch Wein sollst du haben. Ich will es dem Diener sagen. Oder willst du Geld? Hier ist meine Börse.« Sie lächelte bitter und wollte aufstehen. Doch Agathon nahm ihre Hand und drückte sie mit großer Kraft so fest zusammen, daß das Mädchen ihn mit einem überraschten Ausdruck des Schmerzes ansah. »Ich bin nicht, was du meinst,« sagte Agathon.
    »So?« Ein unsicherer Spott trat auf Jeanettens Gesicht.
    »Ich bin nicht hungrig,« sagte Agathon leise. »Ich brauche auch kein Geld. Also nimm dein Geld hier weg, sonst muß ich es zum Fenster hinauswerfen.«
    Jeanette sah lange in Agathons erregtes Gesicht, dann faßte sie ihn plötzlich an beiden Händen, zog ihn zu sich und sagte herzlich: »Nun sprich!«
    Agathon schüttelte den Kopf. »Ich glaubte, du hast etwas zu sagen. Ich habe ja nicht geweint. Freilich, woher sollst du Vertrauen zu einem so schlecht gekleideten Menschen haben.« Er lächelte wieder, wandte das Gesicht ab und starrte ins Dunkle. Die Wände schienen sich aufzutun vor seinen Blicken, und aus zahllosen Augen schauten ihn die Sorgen an, unter denen die Menschen Schätze zusammentragen, um sie wieder von Sorgen bewachen zu lassen.
    »Agathon!« flüsterte Jeanette. Sie ließ seine Hand nicht mehr los, und er fühlte, wie heiß ihre Hand war. »Ich habe dich stets übersehen wie einen Schatten. Du hast dich auch so schmal gemacht wie ein Schatten, du wunderlicher Agathon.«
    Agathon antwortete nicht.
    »Sprich, Agathon, hast du schon viel Böses getan? Warum zitterst du? was ist dir?«
    »Böses, fragst du? Was ich getan, war nicht böse. Es war auch nicht gut. Es wäre schlechter gewesen, wenn ich einem Vogel die Flügel genommen hätte. Oder kann es böse sein, wenn es dich erhebt, glücklich macht? Oder gut, wenn es das ganze finstere Leben erkennen läßt und was man versäumt hat und was andere versäumt haben –?«
    Jeanette, tief erregt durch das Wesen des jungen Menschen, flüsterte stockend: »Setz dich zu mir. So. Und nun hör mich an. Sieh, ich soll einen Menschen heiraten, den ich noch nicht zweimal im Leben gesehen habe. Er ist nicht jung, er ist nicht alt, er ist nicht edel, er ist nicht gemein, ich kenne ihn nicht, ich weiß nichts von ihm, aber ich soll ihn heiraten, der Geschäftsverbindung wegen. Ich werde verkauft und soll mich ruhig verkaufen lassen in das Bett eines Schweins. Erröte nicht, Agathon, jetzt ist nicht die Stunde zum Erröten; bei uns werden alle Mädchen verschachert wie Häuser und Grundstücke, aber du wirst doch zugeben, daß man bisweilen auch aus andern Gründen heiraten kann. Wie? Aus Liebe zum Beispiel, wie?«
    »Aus Liebe, ja,« wiederholte Agathon und zuckte zusammen.
    »Sieh her, sieh her,« sagte das Mädchen und ihre roten Haare fielen wild in die Stirn, und sie zog Agathon dichter neben sich. »Hab ich nicht die feinste

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