Die Juden von Zirndorf
Haut, die du dir denken kannst? Rühr mich nur an! hab ich nicht einen weichen Mund? siehst du, ich küsse dich damit, und liebe ich nicht alles, was schön ist, zum Beispiel deine Augen? Und wenn du mich liebst, siehst du, dann ist es dir gleich, ab ich in Gold und Ehren lebe oder ob ich verstoßen und verachtet bin, ein Frauenzimmer der Gasse, es ist dir gleich, du nimmst mich, wenn du mich liebst, verstehst du? Ja, du freust dich sogar, wenn du zeigen kannst, wie hoch der Preis ist, den du für mich zahlst. Und doch gibt es einen Mann, an den ich geglaubt hatte, und der anders gehandelt hat, einzig und allein deswegen, weil er leiden wollte um mich, weil er mich mehr zu lieben wähnt, wenn er mich entbehren muß. Ist das nicht närrisch? Ich sitze da mit meinem Herzen voll Leben, daß es nur so brennt und soll das Schwein heiraten, und ich habe Ja gesagt aus Rache gegen den Leidenssüchtigen, der mich liebt und verschmäht, den ich lieben und verachten muß.«
Agathon starrte fassungslos in diese zigeunerhaften, leidenschaftlichen Züge. Jeanette sprang auf und rief: »Du mußt mit mir kommen! Du mußt sie sehen, die da drunten. Kannst du tanzen? Gut, wir wollen ihnen Schrecken einjagen, indem wir tanzen.« Sie nahm Agathon bei der Hand und zog den Erstaunten und Willenlosen, der nicht begriff, was mit ihm vorging, durch das dunkle Zimmer zur Treppe, über die Stufen hinab, bis sie mit ihm unter der Saaltür stand, die der Diener mit einem Gemisch von Respekt und Verdutztheit eifrig aufstieß. Mit blitzenden Augen sah Jeanette in das bunte Treiben der Gäste. Nicht einmal die Haare hatte sie geordnet.
Der Baron kam rasch und fragte mit einem finstern Blick auf Agathon, wo sie so lange bleibe und was der Unfug bedeute. Herren und Damen standen alsbald lauernd im Halbkreis um das junge Mädchen. Es war eine ziemlich ungemischte Gesellschaft: jüdische Kaufleute, Journalisten, Ärzte und Advokaten. Alle Gesichter verrieten Intelligenz, aber nur jene Intelligenz des Augenblicks, die von den verborgenen Werten der Dinge nichts weiß, die an der Stunde klebt, mit der Stunde rechnet und die Augen schließt, wenn die Nacht kommt. Alle Gesichter hatten etwas Überlebtes, etwas von dem Abgeglühtsein, wie es das gemeine Leben mit sich bringt; das Edlere war verwischt von der Freude an flüchtigen Genüssen, von der Verachtung des wahren Ernstes und der Sucht, den Tag leicht zu nehmen. Ihre Macht war der greifbare Besitz und sie waren wie Sklaven, die heuchlerisch ihre in der Dunkelheit gesammelten Kräfte verstecken und sich auf die Stunde freuen, wo sie die Fäuste zeigen dürfen. Agathon blickte in den Lichterglanz an der Decke und plötzlich mußte er an die arme, niedere Stube zu Haus denken, und das gelbe Gesicht seiner Mutter stieg wie aus einem Schattengewühle auf. Und er verlor sich selbst: aus diesen Schatten erhoben sich Generationen: Greise und Greisinnen, die mit müdem Kopfschütteln vorbeigingen.
»Herr Salomon Hecht!« rief nun Jeanette und ihre Augen leuchteten grün.
Ein elegant gekleideter, ziemlich fetter Mann trat vor und verbeugte sich ironisch. Er hatte ein süßliches Lächeln auf den Lippen, aber in seinen Augen war die stumpfsinnige Traurigkeit eines Tieres.
»Was hast du vor?« knirschte Baron Löwengard und trat, schneebleich vor Wut, an die Seite seiner Tochter. »Was soll dieses Benehmen? Was soll der Junge hier? Wenn du nicht Vernunft annimmst, werde ich dich aus dem Haus peitschen lassen.«
»Ja, laß mich nur peitschen,« erwiderte Jeanette zum Entsetzen ihres Vaters beinahe schreiend. »Was ich vorhabe? Ich will einen Mann haben und keinen Getreidesack und keinen Geldschrank und keine zehnprozentigen Aktien. Verstehst du das nicht? Was soll ich denn anfangen mit Herrn Hecht in der Nacht, wenn ich von Männern träume, die nicht ein paar Nachtlichter im Kopf haben, sondern Augen, Augen, Augen –? Wenn ihr nur das wollt, was ihr wollt, dann schachert! Verschachert euern letzten Flederwisch im Kehrichtfaß, und für das andere geb ich mich nicht her wie eure hochmütigen Weiber, die mich jetzt anglotzen wie eine Hexe. Da! da habt ihr und mich laßt zufrieden! da! da! da!« Und sie ging hin, weiß wie Kalk, warf die kostbare Broche ins Kaminfeuer, die Armreife, die Ringe an den Fingern, riß die Spitzen über der Brust entzwei und öffnete mit einem Ruck die Knöpfe der Taille. Da stürzte Löwengard mit unartikuliertem Schreien auf seine Tochter, nahm sie in die Arme und wollte sie
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