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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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den zartleuchtenden Stirnen alter Geschlechter.
    Die Männer schalten und disputierten lauter als je. Sie gingen in Haufen und kamen kaum vorwärts. Alle redeten mit den Händen und fochten mit den Armen; man danke für die Ehre, einen halben Goij zum Vorbeter zu haben; man möge überlegen, daß Elkan Geyer nicht einmal geborener Zirndorfer sei. Das sei gleichgültig? wenn er nur ein guter Jüd sei? Er sei aber kein guter Jüd. Schicke er nicht seinen Sohn in die Christenschule nach Fürth? Das täten andere auch? dann seien andere auch Schweine, Goijem, Schabbesgoijem. Kämme er sich nicht am heiligen Schabbes mit einem Kamm?
    Die schwarzen Zylinder fuhren ruh- und ratlos hin und her.
    Weit hinter ihnen schritt Agathon, unschlüssig, ob er dem Gottesdienst beiwohnen solle. Da gesellte sich ein junges Mädchen von etwa sechzehn Jahren zu ihm. Es war Monika Olifat, die Tochter einer jüngst aus Polen eingewanderten Frau. Sie kam aus freien Stücken zu ihm, und er errötete vor ihrer Schönheit und vor ihrer Unbefangenheit.
    »Sie sind Agathon Geyer?« redete sie ihn in reinem Deutsch an, mit einer glockenhellen, melodischen Stimme.
    Er nickte langsam.
    »Ich habe von Ihnen gehört. Ihr Vater will Vorbeter werden?«
    Er nickte wieder.
    »Aber warum wollen es die Leute nicht?«
    »Ich weiß nicht. Sie sind neidische, erbärmliche Menschen.«
    »Braucht ihr es denn so nötig?«
    »Ja, meine Eltern sind sehr arm. Wenn sie nicht die Zinsen von dem Geld hätten, das für uns Kinder beim Bankier Löwengard deponiert ist, hätten wir kaum Brot genug.« Er sprach etwas stockend und war schließlich geärgert über seine ungewohnte Mitteilfreude.
    »Wissen Sie was,« sagte Monika Olifat, »wir wollen Freunde werden. Vorausgesetzt, daß es Ihnen nicht langweilig ist.« Agathon sah sie an und jetzt errötete sie. »Ich suche einen Freund,« fuhr sie verwirrt und wie entschuldigend fort. »Also wollen Sie?« Sie hielt ihm schüchtern die Hand entgegen und schüchtern legte er die seine hinein.
    »Freunde sind Verbündete,« sagte Monika Olifat. »Sie dürfen einander nicht verraten und nichts voreinander verschweigen. Und jetzt sagen wir uns Du.« Sie nickte ihm vertraulich zu und verschwand in dem für die Frauen bestimmten Aufgang der Synagoge.
    Der Tempel war ein kahler Raum mit hohen, farblosen Fenstern, alten Gebetspulten und voll moderiger Luft. Während des ganzen Gottesdienstes herrschte derselbe Lärm wie vorher auf der Straße. Erst als ein Rabbiner aus Fürth die Kanzel betrat, um zu predigen, wurde es ruhig. Diese Predigt war anfangs mit gelehrten und biblischen Zitaten geschmückt, erging sich dann in pathetischen Verwünschungen der Heiden, befaßte sich des weiteren mit der Untersuchung eines spitzfindigen Satzes aus der Mischna, empfahl die Fahne des Glaubens hochzuhalten und schloß mit einem Preis des Vaterlandes und des Kaisers. Da erschallte ein erschreckendes Gelächter im Hintergrund. Alles wandte sich mit aufgerissenen Augen um, und man sah einen alten Mann sich krümmen und verbeugen wie eine Katze und einem unsichtbaren Etwas in der Luft zugrinsen. Es war Gedalja; Enoch Pohl ging hin, um ihn hinauszuführen. Tuschelnd verließ die Gemeinde das Haus.
    Als Agathon nach Haus kam, saß Gedalja fröstelnd am Ofen, und neben ihm stand Enoch in finsterem Schweigen. Elkan Geyer hockte auf der Bank am Tisch und hatte das Gesicht mit den Händen bedeckt. Der pausbäckige Knabe trippelte auf dem Polster eines Stuhls herum und leckte behaglich summend an der Zinneinfassung der Fensterscheibe. Der Himmel war grau und regnerisch.
    »Es nützt nix, Enoch,« sagte Gedalja. »Ich waaß, daß de hast vergraben dein Geld im Garten oder im Hof, viel Geld. Aber mir brauchste ja nix zu geben dervon.«
    »Schweig still, du versündigst dich,« erwiderte Enoch durch die Zähne.
    Der andere Greis schien es nicht zu hören. »Es nützt nix,« sagte er eintönig und bekümmert. »Wucher treibste aach und ich seh dich noch kommen ins Zuchthaus mit aller deiner Frommheit. Ich seh dich noch kommen ins Zuchthaus, so wahr ich leb un so wahr ich da sitz.«
    »Du versündigst dich,« murmelte Elkan Geyer gequält.
    »Was soll ich tun? Kann ich mer helfen? Er kann helfen. Wenn er ausleiht Geld zu fufzig Prozent, soll ich halten mei Maul? Ich hab's gehört von en redlichen Mann, von en bedauernswerten Mann, Enoch, den de hast gericht zu grund. Soll kommen sein Wohlstand über dich. Soll kommen sein Ansehn über dich. Aber haste zu grund

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