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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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gericht den Bäcker, wirste aach zu grund richten den Schuster. Un endlich wird kommen der Zugrundrichter über dich un werd haben kein Erbarmen, wie du hast gehabt kein Erbarmen, Enoch. Dann is geschändet dein Name un deine Familie un is geschändet der Jud. Haste nicht mir geliehen dreißig Taler, Enoch, voriges Jahr Ostern zu gutem un ich hab d'r zurückgegeben fufzig Taler um Pfingsten? Die Welt is groß un dreht sich, ich waaß un mancher verschlupft in en Winkel vor der Vergeltung, aber manchen packt's auch un er muß lassen Ruh un Frieden for sein Alter. Ich hab gesprochen und bin stumm.«
    Isidor Rosenau kam und wurde sehr lau begrüßt. Er, der bisweilen atheistische Anwandlungen verspürte, begann einen etwas umständlichen Vortrag über Widersprüche in der Bibel zu halten. Er hatte irgend etwas irgendwo aufgeschnappt und glaubte damit die ganze Schöpfungsgeschichte um ihre Vernunft gebracht zu haben. »Wenn Adam und Eva und Kain und Abel allein in der Welt waren und Abel ging hin und nahm sich ein Weib aus der Fremde, so waren sie doch nicht allein gewesen!« So rief er triumphierend.
    Erst antwortete ihm niemand, dann sagte Gedalja mit einer Geste, deren Stolz und Vornehmheit Agathon unvergleichlich schienen: »Junger Mann, die Schrift is nit geschrieben, daß se wird gelesen mit die leiblichen Augen, sondern mit die geistigen. Sie soll nicht werden studiert, sondern sie soll werden getrunken wie Wein. Sie hat Symbole, daß wir können messen daran unseres eigenes Leben. Un wir sollen nicht messen daran mit der Schneiderelle, sondern mit unserm Gewissen.«
    Agathon fühlte seine Augen feucht werden. Er erhob sich, ging zu dem Greis und küßte ihm rasch und errötend die Hand.
    Doktor Schreigemut kam, um nach Frau Jette zu sehen. Er brachte eine Gemütlichkeit zum Krankenlager, als sei der Tod eine eitle Schrulle, und sein weinrotes Gesicht glänzte, als ob Kranksein den erstrebenswertesten Zustand bedeute. Er schrieb ein »Rezeptchen«, wie er sich ausdrückte, verbreitete sich eingehend über die politische Lage, kniff Mirjam in die Wange und entfernte sich befriedigt. Die Ladenglocke läutete und ein Bauer verlangte Tabak zu kaufen. Elkan Geyer rief hinaus, heute sei Feiertag und der Laden geschlossen. Er schlug die Tür zu, gleich darauf verließ er aber das Zimmer. Agathon wußte, daß er in die Küche ging, um die Magd zu bitten, daß sie den Tabak verkaufe.
    Der Tag ging hin. Aber diese Herbsttage sind gar nicht; sie sterben langsam, sind bloß ein Vergehen. Sie fallen kraftlos in die Arme der heraufsteigenden Nacht, und die Nacht nimmt sie auf den Arm wie die Mutter ein Kind nimmt und es einlullt mit gesummten Liedern. Am Nachmittag half Agathon ein Zimmer für Gedalja instand setzen; für die nächsten Wochen war dem Alten eine elende Kammer zwischen Hof und Hühnerstall überlassen worden. Dann ging er spazieren. Über sein Tun und Denken war eine leidenschaftliche Unruhe gebreitet. Der Weg führte ihn vor das Haus, wo Monika Olifat wohnte. Sie sah aus dem Fenster und winkte ihn freudig hinauf. Sie war allein; die Mutter und die kleinere Schwester machten Besuche.
    »Ich freue mich, daß du gekommen bist,« sagte Monika sanft, als er in das hübsche Zimmer trat. Sie redeten eine Weile verlegen hin und her, dann brachte Monika ein Buch, woraus sie ihm polnische Gedichte vorlas. Er hatte sie darum gebeten, obwohl er die Sprache nicht verstand. Es war ihm genug, ihre Stimme zu hören, die rein und hell dahinfloß, ein ungetrübter Strom. Die Stimme machte alles heiter um ihn, und er hatte ein unbezwingliches Verlangen nach Heiterkeit und Freude in sich, ein Verlangen, das täglich wuchs und ungestümer wurde. So kam es ihm vor, daß in diesen mysteriös klingenden Versen das Herrlichste und Sonnigste enthalten sei, das je ein menschliches Ohr vernommen, und daß man sie nur zu verstehen brauchte, um von allen Sorgen erlöst zu sein.
    Sie klappte das Buch zu und sagte entschieden: »So, jetzt wollen wir uns unterhalten.«
    Das war nun wohl gesagt, aber dabei blieb es. Denn Agathon war still und Monika auch. Denn wer konnte reden, wenn es draußen dämmerte! Der müde Himmel schien herunterzusinken, die Bäume bogen sich, verschwammen, schienen in die Erde zu fallen. Das Wasser auf den Wiesen spiegelte den Himmel wider, stets matter und matter, wie Glas, das überhaucht wird. Agathon sah nur noch die zarten Linien eines Profils, eine leicht gebogene Nase, eine schmale Stirnlinie, zuckende Lider,

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