Die Juden von Zirndorf
verschwunden. Sie hatte nun wieder Grund zu jenen stoischen und schwarzsichtigen Betrachtungen, die ihr ein hartes Leben und ihre stolze Natur nahe legten. Ihre Gedanken nahmen stets einen erbarmungslosen Gang und dabei schonte sie nicht, was ihr teuer war. Als Stefan spät nachmittags nach Hause kam, fragte sie ihn, wo er herumgestreunt sei.
»Du weißt, ich streune nicht, Mutter,« entgegnete er mit blitzenden Augen, den Kopf hoch aufrichtend.
»Ja, ich weiß es,« entgegnete sie wie nachdenklich und blickte ironisch auf seine staubbedeckten Stiefel.
»Wo sind die Knaben?«
»Fort.«
»Wie?«
»Ich habe sie heimgeschickt.«
»Was heißt das? Du weißt doch, daß ich den Burschen brauchte! Es war ein interessanter Fall. Wie konntest du sie fortschicken?«
»Es ist nicht nötig, daß du mit Menschen spielst. Spiele mit deinen Ideen. Darüber bist du Herr.«
Gudstikker atmete schwer. »Mutter, ich betrete dein Haus nicht mehr,« preßte er endlich hervor und stürzte fort. Sie lächelte gutmütig hinter ihm her, öffnete das Fenster und schaute ihm lange Zeit nach.
Stefan Gudstikker ging zum Friseur, wo er über eine halbe Stunde saß, um sich Haar und Bart verschönen zu lassen, und bei Anbruch der Dämmerung erwartete er vor den Anlagen seine Verlobte.
»Sie haben mich fast geschlagen,« waren Käthes erste Worte. »Ich sei heimlich mit dir zusammengetroffen. Du sollst zu uns ins Haus kommen.«
»So.« Er nahm hastig ihren Arm und schritt weiter.
»Nein, nein,« wehrte sie angstvoll. »Nicht jetzt. Du darfst sie nicht herausfordern.«
»Ich schlag alles kurz und klein.« Er machte eine verzweifelte Gebärde der Auflehnung.
»Ach Stefan, warum ist das alles so! Warum hast du nicht viel Geld! Bei deinem Genie! Warum ist alles so traurig um uns!«
»Es wird anders, Liebchen, es wird anders! Ich werde Geld haben, Macht haben, alles was du willst. Ich werde die Welt aus den Angeln heben! Ich habe ein großes Werk vor! Du wirst sehen.«
»Ich glaube ja gern daran. Nur ist die Zeit so lang. Jeder Tag ein Jahr.«
»Nur Geduld. Du wirst sehen. Kann ich bei euch essen?«
»Willst du kommen? Wirklich? Und ohne Zorn? Wie herrlich!«
»Mach um Gotteswillen nicht so viel Ausrufezeichen in deine Rede! Das macht mich nervös! Ich hasse alle Ausrufezeichen!«
»Was hast du denn? Du bist so verbissen seit einigen Tagen.«
»Verbissen? Nein. Nachdenklich, ja. Ich verkehre da mit einem jungen Menschen, Agathon Geyer, einem Juden. Ich bin nicht sentimental, aber, – na, du müßtest ihn sehen. Er sieht aus wie, es klingt lappisch, aber ich muß immer an Aladdin mit der Wunderlampe denken. Und was am sonderbarsten ist, unter den Papieren meines Vaters, der ja auch Agathon hieß, hab ich Briefe von seiner Mutter gefunden. Sie sind mit Jette Pohl unterzeichnet. Sie war noch Mädchen damals. Schön, gescheit, liebenswürdig vielleicht. Etwas Merkwürdiges liegt in den Briefen, dasselbe was in Agathons Augen liegt. Aber du schläfst ja?«
»Nein, ich bin nur müde.«
Familie Estrich war sehr liebenswürdig gegen Gudstikker und Gudstikker war ebenfalls liebenswürdig gegen die Familie Estrich. Er küßte seine künftige Schwiegermutter auf die Wange, fragte Herrn Estrich nach dem Gang der Ziegelei-Angelegenheit, sang nach dem Abendessen zur Guitarre, Volkslieder, die von treuer Liebe handelten und vom Kampf des Mannes um seinen Herd. Um elf Uhr ging er. Auf der Straße wurde sein Gesicht finster, herb und verzerrt. Er schlug sich an die Stirn und sprach zu sich selbst.
Er suchte ein Cafe auf, und in dem Augenblick, wo er den Raum betrat, erhielt sein Gesicht wieder den aufmerksamen und übertrieben stolzen Ausdruck. Er begrüßte den Lehrer Bojesen, setzte sich zu ihm an den Tisch, rieb sich fröhlich die Hände und erzählte eine heitere Schnurre von einem Soldaten und einem Fuhrmann, die er erfunden hatte, aber so darstellte, als ob er sie eben erlebt hätte. »Also wie geht es Ihnen, lieber Bojesen?« fragte er darauf und rieb sich wieder die Hände. »Gut?«
»Wenns nicht geht, so zwingt mans eben!«
»Sie sind immer allein. Ich habe Sie noch nicht anders als allein gesehen. Wie kommt das?«
»Nun, das ist so Gelehrtenart,« erwiderte Bojesen mit einer sanften Selbstironie. »Ich muß Ihnen sagen, diese Stadt, diese Menschen hier, sie liegen nicht innerhalb der Welt. Es ist etwas Verlorenes und Verkommenes, ein Sumpf.«
»Kein Wunder,« sagte Gudstikker, »wie leben wir denn! Sternenlos! Und unsre jüdischen
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