Die Juden von Zirndorf
hinter denen dunkle Augen gleich lebenden Kugeln strahlten und ein Kinn, das ihn an eine Puppe erinnerte.
»Du sprichst ja nichts,« flüsterte Monika befangen.
»Laß uns nicht sprechen,« erwiderte Agathon mit bebender Stimme.
»Was soll man auch sagen,« gab Monika zu. Sie ergriff seine Hand und streichelte sie vorsichtig. »Warum zitterst du denn, Agathon?«
Agathon sprang auf, nahm seinen Hut und rannte fort, – hinaus, und ging erst wieder langsam, als er in der Hauptstraße des Dorfes war. Er lächelte voll Scham und Neue.
Den Kopf voll marternder Gedanken, ging er zu Hause vom Flur in den Hof, vom Hof in den Flur. Dann stieg er die Treppe hinauf, wie unwillkürlich aus dem Bedürfnis nach der Höhe. An ihrer Kammertür stand die Magd, nur mit einem Unterrock und einem Hemd bekleidet. Ihr Haar war lose, ihre festen Schultern und die Hälfte der Brust waren nackt. So stand sie vor der halboffenen Tür, schwankend beleuchtet von dem Kerzenlicht in der Kammer, und lächelte halb blöde, halb begehrlich Agathon zu. Seine Zähne schlugen aneinander, er wollte nach einem Halt greifen, er wollte etwas sagen, doch sogleich legte es sich wie eine Kette um seinen Hals und es wurde ihm so unerträglich heiß, daß er den ganzen Körper feucht werden fühlte. Mit einem dumpfen Schrei floh er.
Noch besinnungslos stürzte er in die Kammer des alten Gedalja, kniete vor ihm nieder, nahm dessen Hand und flüsterte wirr, bleichen Gesichts. Der Greis fragte und konnte nichts herausbringen, doch bald bekam er auf Umwegen Klarheit. Er nickte ein paarmal wissend vor sich hin. »Setz dich her, mein Jung, und ich will dir sagen was for dein Herz un wie de sollst sein gegen die Weiber. Bin ich worn gestraft un hab gehabt zwaa Weiber nebbich un war kein Glück und kein Segen dabei. Das Weib is gut für die Stund, wenn se hat keine Sanftheit for den Mann. Sie mag sein aufgeklärt, sie mag haben Geld, sie mag sein sparsam, sie mag sein gottesfürchtig; wenn se nicht is weich wie lehmige Erd, daß de kannst formen das Bild wo de willst, taugt se nix for dich. Und wenn de hast eine große Begehr, dann gehste hin, sonst wird verstopft dein Geist un dein Gemüt un du siehst Gespenster beim helllichten Tag. Laß d'r nit einjagen Angst durch die falschen Lehren: es is kein Unglück un kein Verbrechen, es is menschlich un du sollst bloß schweigen davon. Un wenn de eines Tages fühlst mehr und dein Herz werd sein voll Liebe, dann gehste hin und siehst, ob se gefällt deinen Sinnen. Un wenn se gefällt deinen Sinnen, gefällt se aach deinem Haus un deine Kinder. Das wirste nit verstehn heut, aber de wirst es verstehn bald un wirst gedenken an meine Worte.«
Agathon war nicht beruhigt. Im Gegenteil, er war noch erregter als vorher. Es wurde Abend und er fühlte sich gefangen in einem verworrenen Knäuel von Rätseln. Er stand in dem schmalen Vorplatz, der zur Kirche führte und wo es stockfinster war. Er drückte sich krampfhaft an die Holzplatten der Rückwand und sah in das winzige Lämpchen, das auf dem Anricht in der Küche stand. Er hörte nahende Schritte und erschrak wie ein Verbrecher. Es waren trippelnde, tastende, gleichsam spionierende Schritte und endlich kam die geduckte, spähende Gestalt Enoch Pohls zum Vorschein. Er lispelte unhörbar, seine Augen stierten in die matt erhellte Küche, es war, als ob sie ihm vorauseilten, um die Küche abzusuchen, dann tappte er hastig auf den Blechkorb am Vorhang zu, wo das Hausbrot aufbewahrt wurde, nahm das Brot, riß die Anrichteschublade auf, packte mit schlotternden Händen ein Messer und schnitt ein großes Stück Brot herab, immer angstvoll lauernd in die Richtung des Flurs blickend. Dann klappte er den Blechkorb vorsichtig zu, legte das Messer wieder an seinen Platz, biß hungrig in das erbeutete Stück Brot hinein und schluckte den Bissen gierig hinunter. Das andere verbarg er in seinem Wams. Schleichend wie er gekommen, entfernte er sich wieder.
Agathon hatte alles gesehen. Er wankte und mit einem Aufschrei brach er zusammen. Lange kauerte er so, und niemals war in seiner Seele das inbrünstige Verlangen so stark gewesen, dieser dunklen Welt um sich her Freude zu bringen. Als er aufsah und sich entfernen wollte, erblickte er seinen Vater, der unbeweglich vor ihm stand und die Hand schwer auf seine Schulter legte.
Siebentes Kapitel
Als Frau Gudstikker am Morgen das Frühstück bereitete, mußte sie zum Brunnen, und als sie zurückkam, waren die beiden Knaben Sema und Wendelin
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