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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Doch davon darf ich gar nicht reden.«
    »Sie haben wohl Schlimmes hinter sich?« fragte Gudstikker, der sich völlig bewußt war, eine Allerweltsfrage zu tun. Aber er empfand deutlich, daß ihm dieser Mann heute nichts geheimhalten würde, daß er sich betäubte durch Mitteilung, und daß er sich jedem Fremden ebenso eröffnet hätte.
    »Schlimmes? Nein. Es ist so gewöhnlich, zu gewöhnlich, um Aufhebens davon zu machen. Mein Vater war reich und hat mich enterbt, weil ich zur Wissenschaft ging. Ich sollte Soldat werden. Dann hat mich auch die Wissenschaft verstoßen, und da bin ich Lehrer geworden. Ich hätte schon ausgeharrt, aber es traf mich das Unglück, daß ich mich verliebte.«
    Bojesen schwieg und sah sich mit träumenden Augen rings um. Der Raum leerte sich; die Kellner säuberten die Tische, viele Lichter wurden verlöscht, die weißen Marmorplatten starrten grell aus den dunklen Teilen des Saales. Die Uhr schien stillzustehn; die Zeit schien stillzustehn.
    »Und nun wundern Sie sich jedenfalls, daß ich hier sitze,« begann Lehrer Bojesen wieder mit gedämpfter Stimme, »und nicht daheim bei dieser Frau, in die ich mich verliebt habe? Jeden Abend bin ich hier zu treffen im Kreis meiner sublimen Gedanken, denen ich Audienz gebe. Ich weiß nicht, welcher Geist uns immer noch mit der Ehe foltert, uns, die wir mit frischgewaschenen Manschetten ins zwanzigste Jahrhundert treten sollen. An die Harmonie der Flitterwochen bin ich ja bereit zu glauben, vielleicht noch ein Jahr länger, aber dann? Sagen Sie mir, lieber Freund, was soll man tun mit einer Frau, die so schön ist, wie sie jung ist, wie sie anmutig ist, und die nicht hungrig wird an ihrem Körper? Verstehen Sie mich? Sie hat kein Verlangen, liebt seelisch und wie die schönen Dinge alle heißen, nennt es Schmutz, wenn sich die Leiber vereinigen, wie es die Natur sanktioniert hat. Vielleicht ist das auch eine Zeitkrankheit, eine Frauenkrankheit, aber was soll man tun mit einem solchen Weib? Man kann ihr nichts mehr geben, nichts. Sie wird einem zum Stein!«
    Gudstikker nickte und spielte peinlich berührt mit einem Streichholz.
    »Ja,« fuhr Bojesen mit einer offenbaren und immer steigenden Lust, sich selbst zu zerfleischen und preiszugeben, fort, »wenn sonst etwas wäre. Ich wünsche Ihnen niemals, Lehrer zu sein. Was sind das für Herren, auf deren guten Willen man angewiesen ist! Doch lassen Sie mich aufhören zu reden, erzählen Sie mir etwas.«
    Gudstikker fragte Bojesen, ob er Agathon Geyer kenne, und Bojesen bejahte. Er scheine ihm ein ziemlich talentloser Schüler zu sein, wie alle. Er meine, Talent im höheren Sinn, wobei das Bewußtsein eines Zieles sei, ein um der Sache willen Schaffen. Das könne er bei keinem dieser Schüler finden, die die ganze Schule als eine Art Strafarbeit oder Hindernisrennen betrachten. »Das kommt von oben und geht durch bis zum Pedell. Arbeitergeist. In wessen Augen ein Evangelium glänzt, der ist gebrandmarkt. Das Beste wird von Strebern geleistet. Nun malen Sie sich das aus.«
    Die beiden Männer zahlten ihre Zeche. Wie Wellen schwankten die Nebel auf der Straße. Am Bahnhof verabschiedete sich Gudstikker.
    Bojesen empfand jenes Grauen vor den eigenen vier Wänden, das den energielosen Naturen oft eigen ist, und er fürchtete die stumme Sprache seiner Bücher, seiner Spiegel, seiner Kerze. Ein warmer Wind erhob sich, der allmählich zum Sturm anwuchs, und seinen Hut mit beiden Händen festhaltend, schritt er langsam dahin, froh des Kampfes mit dem Element. Er achtete nicht des Weges, den er schritt, er war froh, allein zu sein, ihm war, als ob es völlig einsam wäre auf dem Erdball. In dem bergigen Viertel am Fluß kam er an ein Haus, dessen erleuchtete Fenster mit den Worten geschmückt waren: »Zum siebenten Himmel«.
    Bojesen ging hinein. Vor dichtem Rauch sah er zuerst überhaupt nichts. Ein säuerlicher Geruch von abgestandenem Bier drang auf ihn ein. Dann sah er im Hintergrund neben dem Büffet das Podium mit einem verwahrlosten Vorhang. Die Tische starrten von verschütteten Getränken und Speiseresten. Die Stühle lagen teils auf der Erde, teils standen sie auf einem Haufen; einer stand auf dem Tisch. In einer Nische befand sich die Ruine eines Billards und die Ruine eines Klaviers. Eine verblühte Dame stellte eine Flasche Wein vor den Ankömmling hin und erklärte, daß die heutige Galavorstellung unterblieben sei, weil das Publikum sich geprügelt habe. Bojesen starrte in die Höhe, in irgend eine

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