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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Mitbürger sorgen dafür, daß uns der Himmel holder Ideale noch weiter fortrückt. Eigentlich wundre ich mich immer, wenn ich einen anständig gekleideten Menschen treffe, der kein Jude ist.«
    »Freilich, das ist ein Kardinalthema,« gab Bojesen leicht errötend zu. »Und das ganze Land ist in dieser Beziehung, was unsre Stadt im kleinen ist. Die Juden bringen ja das geistige Leben der Nation in Bewegung, es ist wahr; schon deswegen weil die Presse in ihren Händen ist. Vielleicht ist das ein Unglück, vielleicht auch nicht. Vielleicht sind da diese scharfen Reagentien, diese Gewandtheit und Schlüpfrigkeit am Platz. Vielleicht hat ihre wirtschaftliche Unternehmungslust mehr Aufschwung im Gefolge, als unsrer Bedächtigkeit erreichbar wäre. Aber für das Hauptunglück halte ich, daß sie sich nun und von allen Seiten her auch in die Kunst eindrängen.«
    »Ich verstehe; Sie haben recht,« murmelte Gudstikker, den die Beredsamkeit eines andern ungeduldig machte. »Aber schließlich, Kunst ist Kunst. Man kann ja Gold legieren, aber reines Gold kommt dabei nicht um den Wert.«
    »Gewiß. Trotzdem ist eine Gefahr. Sehen Sie mal, früher hatten die Juden genug zu tun, sich die Gebiete zu erobern, die ihnen nahe standen. Plötzlich nahmen sie teil an der reichen Kultur, die sie selbst mitschaffen halfen und wuchsen in die Kunst hinein. Es war eine unausbleibliche Verbindung. Jetzt sehen Sie überall jüdische Künstler, erschreckend viele, erschreckend gute. Ich spreche nicht von denen aus vergangenen Jahrzehnten, das ist keine Frage mehr; sie haben meist mit der Kunst, wie ich sie meine, nichts zu tun. Von den heutigen will ich reden. Sie sind Künstler, echte Künstler, daran ist nicht zu zweifeln. Aber sie richten uns zugrunde. Alles, was wir erworben haben, lang und mühselig, damit können sie hantieren; alles, wonach wir ringen, das haben sie und wenn wir unser Blut hingeben für eine Sache, stecken sie dieselbe Sache schon lachend in ihre Tasche. Es fließt ihnen so zu, sie haben keinerlei Kampf damit zu bestehen. Und ich will Ihnen sagen, woran es liegt: sie haben keine Tiefe. Nur in die Breite gehen sie und wenn sie tief scheinen, ist es eine Lüge. Sie kommen ja aus dem Schoß eines wunderbaren Volkes. Welche Verfolgungen! welche Unterdrückungen! Aber wie ein Wurm krümmt sich dieser Volkskörper durch die Zeiten, unerschöpflich an Lebenskraft. Aber jetzt naht die Krisis. Sie nehmen uns die Wahrheit und die Aufrichtigkeit in der Kunst, das ist wichtiger als alles andere. Sie ersetzen es unbewußt mit dem Schein von Wahrheit, dem Schein von Aufrichtigkeit; sie bringen uns eine neue Art von Sentimentalität, die sich als Naivetät gibt und mit grüblerischer Wehmut nach den Gründen der Dinge schreit. Ich schwöre Ihnen, mein Lieber, das ist eines von den Dingen, die das Schicksal und das Leben ganzer Jahrhunderte verdüstern. Darin liegt die ›Judenfrage‹, wie man das Ding läppisch nennt. Darum müßten die Juden fort und tausendmal fort. Was ist alles andere, eine lokale Sache. Religion! Was ist uns Religion! wir haben keine Religion mehr im kirchlichen Sinn. Sie sollen sich ein Land suchen, wo es auch immer sei, sie sollen einen König über sich setzen wie in den alten Zeiten, sollen ihren Weizen bauen und ihr Gras mähen und ihre Häuser aufrichten, sagen wir, in Australien, nur nicht bei uns. Sonst geht der Verfall weiter und wir werden sitzen, wie der Frosch an der Mergelgrube. Das Christentum hätte schon längst ausgeatmet, wenn das Judentum nicht wäre, abgesehen davon, daß es garnicht gekommen wäre und die germanischen Völker sich einen Gott nach ihrem Blut geschaffen hätten.«
    Gudstikker hatte erstaunt und erstaunter zugehört, und er war so voll von Zweifeln und Einwänden, daß er zuletzt kein Wort herausbrachte und ein mißmutiges Gesicht schnitt. Bojesen lächelte schwermütig. »Ich bin abgeschweift von meinem Thema,« bemerkte er mit einer Miene, die um Verzeihung bat für das Feuer und die Leidenschaft seiner Worte. »Ich meinte, wie man hier lebt, darin sei etwas Unwürdiges, etwas Zeitloses und Teilnahmloses für die Zeit. Hier wird man entweder zum Fanatiker oder zum Dummkopf. Man kann nicht einmal Einfluß haben auf die Jugend, selbst das ist unmöglich. Es ist erstaunlich, aber es ist so, Sie dürfen mir glauben. Mein Gott, was ist das für eine Jugend! Sie hat nichts, als was man ihr schenkt. Sie ist so arm und man macht sie noch ärmer dadurch, wie man den Unterricht betreibt.

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