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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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vereinfachen.«
    Wieder entstand ein Schweigen. »Ach, die Dichter,« sagte Jeanette dann nachdenklich und traurig. »Sehn Sie, ich habe so viele kennen gelernt von den berühmten, denn ich war mit meinem Vater in Berlin und mein Vater war versessen auf die berühmten Leute. Da Hab ich Dichter kennen gelernt und manchen, bei dem mir vorher das Herz geklopft hat. Aber wie schrecklich bin ich immer enttäuscht worden! Ich habe mich immer gefragt: du lieber Gott, wie konnten die Leute das oder das schreiben! In den Büchern so große Gefühle, ein so kompliziertes Leben, und als Menschen genau wie andere Menschen und so leicht durchschaubar, so eitel, so abgemessen, so sparsam mit ihrem Herzen, so vorsichtig mit ihren Worten. Ehrfurcht will ich haben vor einem Dichter, ob er nun jung oder alt ist, Ehrfurcht will ich haben.«
    Bojesen ging still dahin und lauschte mit glänzenden Augen.
    »Sie wundern sich vielleicht über mich,« fuhr sie fort und schlug den Mantel fröstelnd zusammen. »Ich auch. Ich habe stets geglaubt, wahnsinnig zu werden bei dem Gedanken an das Gewöhnliche. Nur nicht gewöhnlich werden! nur nicht irgendwo unten stecken bleiben! Nur nicht immer Anläufe nehmen und dann beschämt zugestehen, daß man zu viel gewollt hat. Nur fort, fort, von Ziel zu Ziel, selbst um den Preis der Ruhe, der Ehre, der Gesundheit, des Lebens! Auch ich will ein Symbol sein.« Bojesen sah sie lächeln. Er fragte, ob sie nicht seinen Arm nehmen wolle und wo er sie hinführen solle.
    Sie nahm den Arm. »Wohin? Ach, irgend wohin. Sagen Sie, Bojesen, sind Sie nicht ein wenig Dichter?«
    »Ich? Nein, ganz und gar nicht. Ich bin ein Mann der Wissenschaft.«
    »Wie pedantisch! Kann man dabei nicht auch Dichter sein? Ist nicht jeder ein Dichter, der eine Empfindung in sich zur Gestalt machen kann?«
    Sie waren an einer Allee, beschneite Bäume und beschneite Wege blickten ihnen entgegen. An einem zerstörten Staket lagen Steine, Mörtelbehälter, Schaufeln, aufgeschichtete Ziegel und dahinter stand ein unfertiger Bau mit schwarzen Fensterhöhlen. Nur im Erdgeschoß brannte ein Trockenofen und düstere Röte strahlte durch die Fensterscheiben, fiel auf die blätterlosen Sträucher und Baume bis über die Straße. Die beiden gingen an den Fenstern vorbei, schauten zufällig hinein und sahen vier Knaben um den Glühofen kauern und mit den geröteten Gesichtern emporschauen zu einem jungen Menschen, der mit dem Rücken gegen das Fenster stand und zu ihnen redete. »Agathon Geyer!« flüsterte Bojesen erschrocken und auch Jeanette war aufs höchste erstaunt. Bojesen hatte ihn sofort erkannt an Gestalt und Bewegung. Als Agathon ein wenig seitwärts trat, konnten sie beide sein Profil sehen; gedankenvoll und entschlossen sah er ins Feuer. Die Knaben schienen Agathons Worte zu trinken, und es lag etwas Gläubiges und Ergebenes in ihren Gesichtern; der Älteste, der etwa sechzehn Jahr alt war, trug die Kappe der Waisenhauszöglinge.
    »Wir wollen gehen,« sagte Bojesen leise, »es ist kalt.« Jeanette riß sich los und sagte im Weitergehen langsam: »Es ist etwas Außerordentliches in ihm.«
    »Sie kennen ihn?« fragte Bojesen betroffen.
    Jeanette nickte. Eine Viertelstunde darauf standen sie wieder vor dem siebenten Himmel. Jeanette schaute hilflos umher und schien nachzusinnen.
    In diesem Augenblick ging eine in einen dicken Pelz vermummte Gestalt vorüber. Nur die Augen waren sichtbar, die boshaft funkelnd denen Bojesens begegneten. Bojesen kannte diese Augen und wußte, was er von der Begegnung zu halten habe. Er lächelte ergeben. Sie traten ein. Barbin schlief auf dem Villard; die jungen Männer in Trikot schliefen auf dem Podium, Liebespaare saßen flüsternd oder stumfsinnig in finstern Ecken, der Glühende allem war noch wach. Er hockte an der Rampe mit weit von sich gestreckten Beinen, die Stirn nachlässig in die gerundete Hand gestützt, den Blick mit stillem Triumph in die Ferne sendend. Eine Schnapsflasche stand vor ihm auf dem Boden.
    »Was sinnst du, Liebling der Götter?« fragte Jeanette, seine Schulter leicht mit den Fingern berührend, und jener deklamierte:

    »Wenn ich doch auf einem Felsen stünde,
    weit im Meer,
    und erlöst von meinen Träumen wär'!«

    Dann zog er eine Mundharmonika aus der Tasche und begann ein Menuett zu spielen. Jeanette erhob sich, faßte den Rock mit den Fingerspitzen beider Hände und tanzte: lächelnd, berückend. Bojesen stand auf, ging hinab vom Podium in die Dämmerung des übrigen

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