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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Boden. Oder nicht? Sähst du vielleicht zu und bedanktest dich? Und wenn es Juden wären, dächtest du: es sind rechtgläubige Juden, man muß kuschen –?« Der Bursche zeigte betreten die Zähne und spielte mit einigen Zweigen des verdorrten Buschwerks. Die andern hatten alles gehört und waren nach und nach still geworden. Eine Stunde später waren die Steine aus dem Garten verschwunden.
    Frau Jette lehnte im Flur, als Agathon zurückkam und blickte ihn starr an. Sie standen in einer dunklen Ecke und ehe sich Agathon dessen versah, war die Mutter auf einen Holzblock gesunken und schluchzte herzbrechend. Er schwieg und blickte trüb herunter auf ihre kümmerliche Gestalt; er fühlte wohl, was sie beweinte, und daß es sich nicht auf diesen Tag und nicht allein auf die letztvergangenen Tage bezog.
    Gegen Abend, bei klarem Himmel und hindämmerndem Untergangsrot der Sonne ging Agathon fort. Als er in die Nähe von Frau Olifats Haus kam, sah er Stefan Gudstikker aus der Gartentüre kommen, hastig über die Straße eilen und mit schnellen Schritten in der Richtung der Ziegelei verschwinden. Agathon stutzte, und obwohl er sonst nicht unaufgefordert zu Monika kam, entschloß er sich heute doch dazu. Er klopfte an und auf ein leises Herein öffnete er die Tür und sah sie allein im Zimmer, am Fenster sitzen. Ihre Mutter und Schwester waren wie gewöhnlich um diese Zeit in der Stadt. Monika erwiderte freundlich Agathons Gruß und drückte seine Hand.
    »Ist dir's nicht recht, daß ich gekommen bin?« fragte Agathon beklommen.
    »Ich? nein, ich freue mich. Ich bin froh, dich zu sehen, Agathon.«
    »Wirklich?«
    Monika nickte ernst, dann sah sie wieder in verlorener Träumerei auf die Felder. »Ich muß dir etwas vorlesen,« sagte sie nach einer Weile. Sie zog ein Papier aus der Tasche, entfaltete es und las:

    »Wir küssen uns bei Kerzenlicht,
    sonst sehn wir uns vor Tränen nicht.
    Sonst ist uns gar zu still die Stund',
    zu schweigsam der beklommene Mund.

    Wir küssen uns in finsterer Nacht,
    weil sie die Zukunft schöner macht.
    Wir sehn das goldne Haus am Meer
    von Schätzen voll, von Sorgen leer.

    Was spricht der Vogel Zeitvorbei?
    Daß alles dies vergänglich sei?
    Was spricht die Mutter Zweifelschwer?
    Ein Schattenbild das Haus am Meer?

    Der Vogel hat die Nackt vertrieben,
    die Mutter ist bei uns geblieben.
    Den blassen Traum an dunkler Wand
    hat sie verblasen und verbrannt.«

    Es entstand eine lange Pause.
    »Wie konntest du denn lesen,« fragte Agathon endlich bedrückt, »da es doch schon dunkel ist?«
    »Ich kenne es auswendig,« flüsterte Monika, in sich versunken. »Es ist schön, es ist schöner als schön.«
    »Aber weshalb nimmst du denn das Papier, wenn du es auswendig weißt? O wie rot wirst du, Monika! Du bist glühend rot.« Agathons Stimme zitterte. »Monika!« rief er dann.
    »Was?«
    »Es ist ein unwahres Gedicht. Es ist schön, aber unwahr. Alles was darin steht ist schön, und nur, weil es schön ist, stehts da, aber es ist erlogen. Ich weiß, wer es gemacht hat. Aber er ist kein wahrhaftiger Mensch. Nur ein wahrhafter Mensch kann ein Kunstwerk machen. Ich meine nicht, daß er im Leben nicht lügen darf, aber mit seiner Seele darf er nicht spielen. Er aber spielt, Monika.«
    Monika hatte den Freund noch nie so erregt gesehen, und es war auch, als ob ein anderer, ein offenbarender Mund ihr das zugerufen hatte. Als er fort war, saß sie im Finstern bis ihre Mutter kam.
    Agathon traf Stefan Gudstikker, wie schon einmal, unter einem Laternchen am Ziegeleigebäude stehend. Nach einigem Hin- und Herreden lud er Agathon ein, mit ihm ins Haus zu kommen. Agathon folgte ihm. Der alte Estrich, brummig und knurrig, wenn er liebenswürdig war, beinahe komisch, erfüllte das Zimmer mit dem Rauch seiner Pfeife und ging bald fort. Käthe erschien still, scheu und gedrückt. Sie hatte bisweilen ein ergebenes Lächeln für ihren Verlobten, jedes Stirnrunzeln von ihm beeinflußte sie, jedem halben Wort sann sie nach. Gudstikker strich ihr oft über die Haare; er schien sich der grenzenlosen Macht über das einfache Kind zu freuen; ja, er schien damit zu prahlen. Oft wenn sie etwas sagte, lachte Gudstikker und Agathon dachte wie in einer Erleuchtung: er hat ihr den Glauben geraubt; was hat er ihr dafür gegeben? nicht mehr als ein Stück seiner eigenen Person. Jeder Tag lehrte Agathon mit unabweisbarer Stimme das Leben wie es wirklich war, wie es nicht aus einem göttlichen Wesen floß, sondern aus dunklen,

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