Die Juden von Zirndorf
fehlte, schlich in eine Ecke, um zu weinen, wenn ihm jener etwas abschlug, und als Gedalja und Frau Jette einmal in Agathons Abwesenheit ernstlich über seinen Lebensberuf Rat hielten, hörte Sema zu und fing auf einmal an zu schluchzen. Es war mehr als eifersüchtige Verliebtheit in ihm, es war Anbetung, ein Sichverlieren und Sichauflösen, der Wunsch, nichts zu sein vor dem vergötterten Freund.
Einmal wanderten beide von der Stadt nach Hause, als sie einem der Waisenhauszöglinge begegneten, einem etwas verwachsenen Knaben mit äußerst abgehärmtem Gesicht. Er blieb eine Weile bei Sema und Agathon stehen, betrug sich aber sehr einsilbig und schrak ein paarmal grundlos zusammen. Später erzählte Sema, daß dieser Knabe oft gezüchtigt werde, weil er die Gebete nicht auswendig behalten könne; dabei erfuhr Agathon erst, daß Sema einige Wochen im Waisenhaus zugebracht habe und daß es ihm dort schlimm ergangen sei.
»Sind viele Knaben dort?« fragte Agathon.
»Vielleicht dreißig.«
»Und sehen alle so unglücklich aus wie der, den du eben gesprochen hast?«
»Fast alle.«
»Werden sie denn hart bestraft?«
»Das nicht, aber sie müssen beständig beten und beten. Im Winter sind die Zimmer kalt. Zu essen gibt es nicht viel, die Lehrer sind lieblos und das Schrecklichste ist, daß man schon um sechs Uhr früh aufstehen muß.«
Agathon schwieg lange. Dann sagte er mit vertieftem Ausdruck des Gesichts: »Man müßte mit den Knaben sprechen. Man müßte ihnen gute Bücher geben. Man müßte sie mit Hoffnung füllen. Worte sind mächtig. Man müßte ihnen beweisen, wie herrlich das Leben ist. Kennst du den Ältesten der Knaben?«
»Ja.«
»Könntest du es möglich machen, daß er und vielleicht ein zweiter in der Nacht mit uns kommen, wenn alle schlafen?«
»Ist das nicht gefährlich, Agathon?«
»Gefährlich? Gewiß. Alles ist gefährlich, wobei man sich ein bißchen opfern muß. Bei Tag werden doch wahrscheinlich die Knaben überwacht?«
»Ja, sie müssen über jede Stunde Rechenschaft ablegen.«
»Willst du mir also helfen?«
»Ja, Agathon.«
»Ich weiß ein leeres Haus am Engelhardtspark, wo seit einiger Zeit ein Trockenofen gebrannt wird. Dort wollen wir uns treffen. Du müßtest die Knaben verständigen und sie hinführen.«
»Ich tue, was du willst,« sagte Sema, beugte sich herab, suchte Agathons Hand und drückte sie an seine Wange. Agathon erschrak.
Als sie durch das Dorf gingen, sah er seinen Vater im Wirtshaus sitzen und mit Schmerz dachte er des üblen Geredes, das über den Vater an sein Ohr gedrungen war. Ja, man sprach Schlimmes über Elkan Geyer, nicht nur wegen des verhafteten Enoch, nicht nur wegen des heidnischen Agathon; Elkan mußte eine unheimliche Schuld in der Brust tragen, daß er halbe Tage lang in der Kneipe hockte, sein Geschäft vernachlässigte, der Frau alle Sorgen aufbürdete und dunkle Worte und Klagen verlauten ließ.
Zu Hause fand Agathon seine Mutter in gewaltiger Erregung. Keines Wortes mächtig, zeigte sie nach dem Garten und er ging hinaus. Auf dem Nebengrundstück befand sich die Estrichsche Ziegelei, die der neue Besitzer vergrößern ließ. Es sollten Trockenschuppen gebaut werden, die Erde wurde ausgegraben und die Arbeiter nahmen keine Rücksicht auf den Geyerschen Garten, beschädigten den Zaun und warfen Steine herüber. Frau Jette war schimpfend unter sie gefahren, wurde aber verhöhnt und nun geschah, was anfangs Achtlosigkeit gewesen, in böswilligem Trotz. Als Agathon hinaustrat, schleuderte gerade ein junger Bursche lachend einen Ziegelstein herüber. Ohne sich zu besinnen, trat er durch eine Bresche des zerbrochenen Zaunes zu dem jungen Menschen, und fragte: »Hast du eine Mutter daheim?« Das Du und Agathons fester Blick verwirrte den andern, der unter den Lärmendsten gewesen war. Er schlug die Augen nieder und sagte nichts. »Rede nur«, drängte ihn Agathon, »gib Antwort«! Der Bursche lachte und wußte nicht, wohin er den Blick wenden solle. Endlich schüttelte er in unbestimmter Weise den Kopf. »Aber wenn du eine hättest, würdest du sie beschimpfen lassen?« fragte Agathon eindringlich; »nimm mal an, du hast daheim einen Garten, und der Garten ist fast alles, was ihr habt, und es kommen Leute, die sich ein Vergnügen daraus machen, den Garten zu ruinieren, den Zaun umzureißen, die Beete mit Steinen zu bewerfen, auf denen ihr im Sommer euer Gemüs' wachsen laßt, ich glaube, du nähmst die erste beste Flinte und schössest die Kerle zu
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