Die Juden von Zirndorf
elektrischen Knopf und eilte dann die teppichbelegte Steintreppe empor. Aus einer Türe kam ein junges Mädchen, dessen Gesicht alsbald das größte Erstaunen ausdrückte. »Jeanette!« rief sie aus. »Ist Nieberding zu Hause?« fragte Jeanette-Luisina bebend. – »Nein, Eduard ist noch nicht da,« entgegnete das Mädchen bestürzt und schüchtern und blickte furchtsam auf Bojesen, der nichts zu sagen, ja nicht einmal sich zu bewegen wußte.
»Ach Cornely!« rief Jeanette und faßte mit beiden Händen nach der dargebotenen Hand des Mädchens.
»Komm doch herein, Jeanette. Willst du auf Eduard warten? Es ist alles so sonderbar, was du tust,« sagte Cornely mit einer leisen, kindlichen Stimme. Sie hatte stets ein schwaches und undeutbares Lächeln auf den Lippen; aber hätte man ein Tuch über den Mund gebreitet, so wäre ein Ausdruck von Schwermut, mehr als Schwermut geblieben. Sie machte den Eindruck eines Geschöpfs, das durch einen Zustand vollständig betäubt ist und sich nur bestrebt, die Gedanken geheim zu halten.
Bald saßen sie im Salon, bei mattem Licht, das durch gelbrote Seidenschirme schimmerte und in den Ecken zu verfließen oder zu der allgemeinen Nacht draußen zu streben schien.
Bojesen befand sich in einem Zustand fast zorniger Erwartung. Er konnte sich dem vibrierenden Wesen Jeanettes nicht entziehen. Er dachte wieder an sein eignes Weib, das, er wußte es, zu Hause in kurzen Zwischenräumen zur Treppe lief, mit der kleinen Lampe hinunterleuchtete, von jedem Schritt auf der Gasse aufgescheucht wurde wie ein Vögelchen und auf ihn wartete, wartete.
Als Jeanette den Mantel abwarf, weil es ihr zu heiß wurde, stand sie da im Theaterkostüm, sah ins Kaminfeuer und ihre Nasenflügel blähten sich gierig. Cornely stieß einen dumpfen Schrei aus und faltete die Hände.
»Wie lange willst du noch so bleiben, meine arme, kleine Cornely?« sagte Jeanette. »Soll ich recht behalten von damals her, als ich dich beim Pfänderspiel zur alten Jungfer machte?« Etwas Triumphierendes lag in ihrem Gesicht.
»Selbstüberwindung ist die größte Freiheit,« erwiderte die Bleiche mit ihrem sanften Lächeln.
Die Haustüre wurde zugeworfen, schlürfende Schritte wurden laut, und Bojesen glaubte eine wallende Erregung in Jeanette mitzufühlen. Ein junger Mann trat ins Zimmer und blieb versteinert stehen, weiß wie Leinwand. Er war schlank, groß und bartlos, hatte dicke Lippen und eine dicke Nase, tiefliegende, etwas gerötete Augen und einen eigenen Zug von Adel und Feinheit im Gesicht. Das feinste waren seine Hände, sie waren lang- und zartlinig wie gotische Bögen. Cornely schlich geräuschlos davon.
»Du bist erstaunt, wie ich sehe,« flüsterte Jeanette. »Dieser Herr, Herr Bojesen, du kennst ihn vielleicht, ein Freund von mir, hatte die Güte, mich zu begleiten. Er ist von allem unterrichtet. Ich will, daß er bleibt, und ich will, daß du so bist, als ob er nicht da wäre.«
Eduard Nieberding senkte den Kopf. »Rede! Was willst du? Ich begreife nichts von alledem.«
»Wie solltest du auch begreifen!« erwiderte Jeanette leidenschaftlich. »Du, der eher begreift, was auf dem Mond vorgeht, als in der Seele einer Frau! Du! Bist du es nicht, der das erfunden hat von der keuschen Liebe? Der diese eisigen Dinge von Resignation und kühler Anbetung und von der unsinnlichen Macht des Schönen oder wie du es nennst im Munde führt! Rede du! Rede! Hast du mich nicht irre gemacht an allem, was strahlt in der Welt und was warm ist?«
»Verschone mich, Jeanette! Wie töricht von dir! Warum in der Gegenwart eines Fremden? Was tust du!«
»Ich will es dir sagen. Hier ist ein Mann. Ich glaube, Bojesen, Sie sind ein Mann. Ich frage Sie nun, – und dazu sind Sie hier, daß Sie mir auf Ihr Gewissen antworten, ich frage Sie: kann ein Mann ein Weib lieben, wenn er sie bittet, gehe fort von mir, damit meine Liebe größer und mein Gefühl reiner wird? Der sie bittet, küsse mich nicht, denn sonst begehre ich dich und das würde meine Liebe verringern –? Ich will von dir träumen, so spricht er, ich will von dir träumen, aber ich will dich nicht besitzen, denn der Besitz macht arm ... Liebt ein solcher Mann?«
»Jeanette!«
»Was sagen Sie dazu, wenn ein Mann der Frau, die er zu lieben beteuert, den Rat gibt, einen andern Mann zu heiraten, nur damit sie ihm begehrenswerter erscheine? Reden Sie, Bojesen, reden Sie! Vielleicht finden Sie ein Wort der Erklärung oder der Entschuldigung, damit ich Ihnen danken
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