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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Raumes und stellte sich unter die Schläfer. In ihm erwachte eine heiße Leidenschaft und das Menuett, wie er es jetzt vernahm, fast wie hinter Mauern, hätte ihn beinahe aufschluchzen lassen. Er glaubte kaum, daß ihn mit solchen Gefühlen der Erdboden würde tragen können, so schwer war seine Seele von ihnen.
    Er wandte zufällig den Kopf nach rückwärts und sah Jeanette hinter sich stehen. Sie blickte ihn verträumt und selbstvergessen an; ihre Augen waren jetzt von einem dunklen, undurchdringlichen Grün, und die roten Lippen gaben dem überaus bleichen Gesicht etwas von dem Wesen einer Fabelwelt. Langsam nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn fort, hinaus in den finstern Gang und weiter.

Zehntes Kapitel

    Die strahlende Mittagssonne leuchtete, als Agathon von der Höhe herabstieg ins Dorf. Zu beiden Seiten des Wegs standen die Bäume im Schnee, spärlich behangen mit braunroten Blättern. Weithin leuchtete die Schneedecke und bisweilen lag ein dunkles, mürbes Blatt gleich einem großen Blutstropfen darauf. Als Agathon durchs Dorf ging, grüßten ihn viele Leute mit scheuem Gruß. Rasch hatte sich die Kunde verbreitet, daß Frau Jette durch seine wunderbare Berührung gesundet war, und alle suchten in seinem Gesicht, an seinem Wesen nach einem äußeren Zeichen der inneren Kraft. Er fühlte sich Herr über diese Kraft, gehoben und emporgetragen; alles was rein in ihm war, hatte sich mit diesen Gefühlen vereinigt, und alles Düstere und Kleinliche seiner Seele war abgestreift wie verbrauchtes Gewand. Er hatte ein altes Buch aufgefunden und darin die Geschichte des Sabbatai Zewi entdeckt. Mit durstigen Augen las er sie. Wie wußte er gut zu scheiden unter dem Wahren und Erlogenen, dem Phantastischen und Tiefsinnigen! Wie sah er durch die Person des falschen Propheten in die Seele der Menschen, die nicht dem beharrlichen Ernst sich beugen, nicht der beweglichen Stimme des mitleidenden Beraters, sondern dem prunk- und goldstrotzenden Worthelden, dem Halboffenbarer, dem, der mit ihrer Begeisterung spielt und dann achtlos über ihre Leichen schreitet. Aber noch fehlte all diesen Dingen der tiefere Bezug auf sein eigenes Tun, und er fand sich in der Welt mit einer Binde vor den Augen, des gütigen Lösers harrend. Es war nichts von Prophetentum oder Prophetenwollen in ihm. Das reiche innere Leben verlieh seinen Zügen etwas Leuchtendes, doch er fand sich klein neben einem geträumten Bilde von sich selbst. Mehr als sonst waren seine Nächte belebt von schwülen Bildern: nackte Frauen, die ihn neckten, die ihn zu sich zogen, ihn umarmten, ihn verlachten. Wie oft sprang er auf vom Bett und trat aus Fenster, um durch die Kälte sein Blut zur Ruhe zu bringen. Wie oft schaute er bittend in den schwarzen Nachthimmel mit den klaren Wintersternen und erwartete, daß das Gewölbe sich zu einer freundlichen Vision öffne. Dann suchte er seine Gedanken abzulenken, dachte an die große Welt und an die Buntheit der Ereignisse in ihr, die nur wie ferner Marktlärm hereinklangen in das kleine Leben, das er lebte.
    Es gab zwei Wesen im Hause, die ihn oft und viel beschäftigten. Das eine war Frau Hellmut, das andere Sema. Jene hatte das Schreckhafte, das sie anfangs für ihn gehabt, verloren. Doch ihre ganze Art hatte etwas von einem Irrlicht. Ruhelos, beständig redend, beständig geschäftig ging sie umher, obwohl schon lange nichts mehr für sie zu tun war, obwohl sie nicht bezahlt wurde und auch kein Geld dazu dagewesen wäre. Bevor sie nicht zu anderen Leuten gerufen wurde, lebte sie hier billig und »ein Maul mehr macht den Tisch nicht leer«, sagte Gedalja. Ost saß sie dann wieder und sprach kein Wort; ihre Augen quollen unter den entzündeten Lidern hervor, sie lächelte in wahnsinniger Weise vor sich hin, nickte und atmete wie beglückt tief auf. Agathon pflegte sie bei solchen Gelegenheiten genau anzublicken, und es wollte ihm scheinen, als ob diese Frau einmal sehr schön gewesen wäre: vielleicht nur einen Tag lang schön, in der Seele und am Körper, um sich dann wegzuwerfen für eine vorüberrauschende Stunde. So dachte er oft über die Menschen, indem er sie in der Vergangenheit wirken, oder in einer bestimmten, von ihm selbst erfundenen Situation handeln sah.
    Mit Sema wußte er nichts anzufangen. Voll ängstlicher Fürsorge achtete der Knabe auf alles, was Agathon tat, suchte ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen, schleppte einen Stuhl herbei, wenn Agathon stand, brachte ihm den Löffel, der bei der Suppe

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