Die Juden von Zirndorf
Gesicht und weitgeöffneten Augen in den Spiegel schauend. Dann holte sie Wein, dessen Purpur in den dunklen Gläsern und in der beginnenden Dämmerung schwarz erschien.
Währenddem öffnete sich die Tür und Bojesen sah einen alten, sehr gebückten Mann mit einem Hausierkasten sich mühselig hereinschleppen. Es war Gedalja, den Jeanette vor einiger Zeit auf der Straße getroffen hatte und der nun fast täglich zu ihr kam. Er setzte keuchend den Kasten am Ofen nieder und trocknete sich die Stirn mit dem Rockärmel. Bojesen schaute Jeanette an, begriff und wollte gehen. Aber sie befahl ihm durch einen Blick, zu bleiben und zündete die Lampe an. »Hast du was verkauft, Großvaterle?« fragte sie, die Hand in die des Alten legend.
Gedalja verneinte. »Se welln nix haben. Se sind alle versehen. Se welln bloß ihren Spaß haben mit em alten Juden. Ich will nit klagen, Enkelin, nit klagen. Aber was for Gesichter wer ich sehn, wenn ich sterb'? Wer wird reden zu mir in die lange Nächte? Hast de schon gesehn en alten Mann über neunzig, wo hat kein Haus un kein Hof und kein Bett? Bin ich nit gewesen e Vieh, daß ich nit gewesen bin e Wucherer un e Betrüger? Wo soll ich haben en neuen Rock, wenn der wird sein zu Fetzen? Wo sin meine Kinder, daß se sitzen zu meine Füße und lauschen meine Worte? O Enkelin, es is gut, zu nehmen e Schwert und zu zerreißen sein eignes Herz.«
Bojesen blickte nicht vom Boden empor. Gedalja begann wieder: »Ich waaß nit, was de hast getan un was de hast vor im Leben, Jeanette. Aber ich seh d'rs an an deine Stirn und deine Augen, daß de willst hoch naus, daß de hast überspannte Gedanken vom Leben un von die Menschen. Es gibt im Jüdischen e Sprichwort un haaßt: wenn Schabbes-Nachme afn Mittwoch fallt, kriegt die Schmue Vernunft. So is es mit deine Pläne. Schabbes-Nachme fallt alleweil afn Schabbes, natürlicherweis. Sei vernünftig vorher! Sei immer bei dir un hab gut acht auf deine Handlungen. Schlaf nit ein in der Nacht, wenn de nit hast ausgelöscht 's Licht; nor die Toren scheuen den Schlaf beim Finstern. Bleib' e gute Jüdin, wenn de aach nit glaubst, denn wir sin e großes Volk mit bedeutende Gelehrte. Merk d'r was ich hab' gesagt. Haste vielleicht was z'essen? Hab Hunger. Bin in ganzen Tag rumgeloffen, bis nach Burgfarrnbach nüber.«
Bojesen, dem es schwer ums Herz war, schickte sich zum Aufbruch an. Jeanette begleitete ihn liebenswürdig hinaus, sagte aber nichts. Er haßte diese Liebenswürdigkeit an ihr, die undurchdringlich war wie ein Panzer.
Er irrte lange Zeit durch die Straßen, aß gegen sieben Uhr irgendwo zu Nacht, setzte seine ruhelose Wanderung fort und kam endlich wieder vor Jeanettens Wohnung an, wo immer noch die Fenster erleuchtet waren. Am gegenüberliegenden Haus sah er einen jungen Mann im Schnee stehen. Er glaubte, diese blassen, unbestimmten Züge zu erkennen, ging hinüber und stand vor Nieberding, der den Blick nicht von Jeanettens Fenstern wandte. Bojesen lächelte ironisch. Der andere gewahrte ihn, und eine Zeitlang standen sie Auge in Auge, ohne eine Bewegung. »Wie lange stehen Sie schon?« fragte endlich Bojesen mit schlecht verhehltem Spott. Aber Nieberding überraschte ihn, indem er ihm die Hand bot und sagte: »Weshalb wollen Sie mich verhöhnen? Was würden Sie sagen, wenn ich bissige Reden führte, weil ich Sie etwa am Grab Ihres Vaters sähe? Ich stehe am Grab meiner Liebe. Es ist mehr als eine Phrase.« Er schob seinen Arm unter den Bojesens und zog ihn mit sich fort.
»Aber sind Sie jetzt nicht glücklich?« fragte Bojesen noch immer sarkastisch.
»Glücklich? weil ich leide? Allerdings in gewissem Sinn.«
»Sie sind Arzt?«
»Verzeihen Sie, – ein Wort: kommen Sie eben von ihr?«
»Nein.«
»Ob ich Arzt bin? Nein. Ich war es.«
»Ein schöner Beruf.«
»J – Ja!«
»Aber er macht hart, grausam.«
»Im Gegenteil. Aber Sie spotten immer noch.«
»Im Gegenteil –?«
»Er hebt uns. Macht weich, bereichert die Gefühle.«
»Das sind Worte. Es gibt solche und solche Ärzte.«
»Allerdings.«
Darauf schwiegen sie. »Verzeihen Sie,« sagte Nieberding, »darf ich Sie zu einem Abendessen einladen?«
»Danke, ich habe schon gegessen.«
»Aber dann kommen Sie auf ein Glas Wein zu mir.«
»Wenn es Ihnen nicht unbequem ist –.« Nieberdings offene Herzlichkeit und seine kindlich-schüchterne Art, zu fragen, beschämten Bojesen ein wenig. Bald saßen sie in Nieberdings kleinem Salon, wo ein behagliches Feuer brannte. Bojesen sah
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