Die Juden von Zirndorf
Haß nicht gegen ihn, sondern gegen uns und die verlogenste von allen verlogenen Phrasen muß aufmarschieren, um euch einen Schein von Grund und Recht zu geben: ihr sprecht von Rassenhaß und Nassenkluft, wo es besser wäre, von dem Neid und dem Geifer des Stumpfsinns zu reden, und als ob nickt ein Pommer und ein Franke von verschiedenerem Blut und Geist wären als ein Jude und ein sogenannter Germane. Rekrutieren sollen wir uns? Was heißt das? Sollen wir ein Land kaufen und einen Staat gründen? Das hieße uns vernichten. Wir sind stark als Einzelne, das ist eben das Geniale an uns, wenn Sie das kühne Wort verzeihen wollen; als Nation wären wir das Gespött der ganzen Welt. Wir sind stark als Helfer, als Diener des Geistes, wir sind groß als Priester, aber wir sind nicht ein Volk, das zu politischen Taten aufgelegt ist.«
Bojesen blickte überrascht in das Gesicht des jungen Mannes, das durch die Erregung beinahe schön war. »Sie haben Recht,« erwiderte er ernst. »Und doch kann nicht geleugnet werden, daß wir viel schneller dem Abgrund zurollen, seit die Juden emanzipiert sind, wie das prächtige Wort nun einmal heißt. Ich kenne so viele gebildete Juden, wirkliche Menschen, Künstler oder Männer der Wissenschaft oder auch Kaufleute, aber ich muß sagen, so sympathisch und lieb mir die meisten sind, sie haben alle einen seelischen Defekt, einen sittlichen Krankheitsstoff, der ihre andersblütige Umgebung alsbald ansteckt. Worin das besteht, ist mir ein Rätsel. Aber sie sind es, die mich immer am schmerzlichstes empfinden lassen, daß wir im Begriff sind, eine Nation vom Säufern, Strebern und Phlegmatikern zu werden. Ihr seid eben Dämmerungskinder, Propheten der Dämmerung, manchmal vielleicht der Morgendämmerung, diesmal aber sicher der Abenddämmerung. Tragt ihr nicht einen großen Teil der Schuld, wenn unsre Reichen und Vornehmen Geist und Ohren mit Musik verstopfen? Niemals war ein blödsinniger Musikkultus zu solchen Ehren gelangt. Es mutet mich so kindisch an, wenn in Paris die Gräfin Rothschild ihre Hündin mit dem Hund eines Marquis oder Lords öffentlich und feierlich verlobt und unter großem Gepränge Hochzeit halten läßt. In Rom war das alles seinerzeit viel großartiger. Wir können nicht einmal eine anständige Dekadenze inszenieren. Unsere gute Gesellschaft ist ausschließlich auf das Vertreiben der Langeweile angewiesen und die Kunst hat keine Lebensnotwendigkeit, sondern sie verrichtet Hofnarrendienste oder gefallt sich in volksfremder Unnahbarkeit oder wird zum weltflüchtigen Traum. Betrachten Sie nur einmal eine Erscheinung wie Richard Wagner. Wie aufgedonnert, wie asketisch, wie mönchisch, wie schmerztrunken, wie jüdisch! Daher auch sein rasender Haß gegen das Judentum.«
Eine Zeitlang war es still im Zimmer. Beide schauten finster sinnend in ihre Gläser. Dann begann Bojesen von neuem:
»Und doch! und doch! Ich weiß nicht, welcher Dämon mir diesen Gedanken eingegeben hat: es ist mir, als müsse gerade aus den Juden noch einmal ein großer Prophet aufstehen, der alles wieder zusammenleimt. Es ist selten, aber bisweilen trifft man einen Juden, der das herrlichste Menschenexemplar ist, was man finden kann. Alle reinen Glieder der Rasse scheinen sich vereinigt zu haben, ihn hervorzubringen, ihn mit allen köstlichen Eigenschaften auszustatten, die die Nation je besessen hat: Kraft und Tiefe, sittliche Größe und Freiheit, kurz, alles und alles, ausgenommen vielleicht den Humor. In seinem Kopf sitzen ein paar Augen voll Mildheit und Güte, man möchte sagen Frommheit in einem neuen Sinn, feurig und doch wieder schüchtern, phantasievoll und nach keiner Seite hin borniert, – kurz, wundervoll.«
Nieberding spielte mit einer Aschenschale, die in Form einer Ampel an einem Traggestell hing. Er drehte das mattbraune Gefäß um die eigene Achse, wobei die Kettchen klapperten. »Es ist sonderbar,« sagte er, »wie alles, auch das Bedeutende und Wichtige, gering erscheint, wenn man es mit dem eigentlichen Sinn des Lebens vergleicht.«
»Ja aber was ist der eigentliche Sinn? Hoffentlich antworten Sie nicht wie der gelehrte Mann, den ich einmal fragte, was er selbst für einen Zweck habe, da er die Welt schrecklich vernünftig fand. Ich bin eine Verdichtungsmaschine, sagte er pathetisch.«
»Ach, ich meine nur alles zusammengenommen gegen das Unendliche betrachtet. Symbol, Symbol, alles nur Symbol. Kennen Sie dieses Experiment der Fakire: sie bezeichnen einen Kreis im Zimmer,
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