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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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hier Jeanettens Schatten weilen und empfand eine nagende Unruhe. Cornely kam mit ihrem rätselhaften Lächeln und für Bojesen war es seltsam zu sehen, wie sie den Bruder verehrungsvoll küßte und wieder ging.
    Nach einem schier endlosen Schweigen fragte Nieberding hastig: »Was halten Sie von Jeanette Löwengard?«
    Bojesen schwieg und zuckte die Achseln. »Sie ist ein feines Tier,« sagte er endlich leise mit einem lauernden Zucken der Mundwinkel.
    Nieberding blickte verletzt auf. Aber im Nu unterwarf er sich Bojesen wieder.
    »Und Sie,« fuhr Bojesen fort, »welche Art von Frauen lieben Sie eigentlich? Sagen Sie nicht, daß es Jeanette sei, das steht Ihnen fern. Sie lieben die schlanken, überzarten Formen, Sie lieben Frauen, die größer sind als Sie, die präraphaelitischen Gestalten, hab' ich nicht recht?«
    Nieberding blickte furchtsam sein Gegenüber an. Er wagte nicht zu widersprechen. Bojesens weit aufgerissene Augen schienen etwas anderes zu sagen, als was er jetzt sprach. Sein Mund war ein wenig geöffnet, und seine Haltung glich der einer Katze. Er war wie verwandelt.
    Nach einer Weile begann Eduard Nieberding: »Sie haben neulich beliebt, mich als den Typus des modernen Verfallsjuden hinzustellen. So war es doch, nicht? Ich habe viel darüber nachgedacht. Wenn etwas von Ihren Anschauungen begründet ist, ist es dies: wir wirklich modernen Juden haben ausgehört, Juden zu sein. Wir sind in unserer Seele Christen geworden. Nicht Christen nach der Form, sondern nach dem Geist.«
    Bojesen nickte halb verächtlich, halb bekümmert. »Das ist es ja,« sagte er. »Das ist es, was uns ins Unglück stürzen wird. Ja, Sie werden das Christentum aufbauen! Wir sollen wieder Mumien werden, da wir angefangen haben, die Fenster zu öffnen und die Moderluft zu vertreiben. Sind wir nicht ein krankes Geschlecht bis ins Mark? Sehen Sie mich an, was ich bin! Heute bin ich neunundzwanzig! Was werde ich mit vierzig sein! Das geistige Christentum! Und wie belieben Sie das andere zu nennen, das unsere säftereiche Nasse aufgelöst und vernichtet hat binnen sechzehnhundert oder weniger Jahren. Was ist schuld, wenn wir den natürlichsten Vorgang des Lebens zu einem Akt der Lüsternheit machen? Wenn wir in den Schulen Maschinen züchten, statt Menschen? Wenn tausende von großen Weibern auf der Gasse und in Spezialitätentheatern lungern und eine anämische Herde tummelt sich im Salon? Wenn wir nicht hinauskommen über die niedrigen Begriffe von Ehre und Nächstenliebe, wenn unsere Dichter Hysterie für Tragik nehmen? Sie, moderner Jude, sind daran schuld mit Ihrem Mystizismus und Ihrem asketischen Verlangen, der Sie im Schnee stehen und Ihre Geliebte nur seelisch begehren, der Sie das frevelhafte Wort von der Selbstüberwindung neuprägen. Ja, ja! richten Sie nur das Christentum wieder auf! Hauen Sie nur die Renaissance, von der große Menschen geträumt haben, in Stücke, bevor sie geboren ist! Nur zu!«
    »Mit all dem sagen Sie eigentlich nichts Neues,« erwiderte Nieberding traurig und mit gesenkter Stimme. »Aber das ist ja gleich, wenn Sie es fühlen. Ist es denn so schlimm? Wieviel Poesie und Verklarung hat uns nur allein die katholische Kirche gegeben.«
    »Lassen Sie uns hier nicht von Poesie reden. Lassen wir die Poesie beiseite, samt der Verklärung, ich bitte Sie. Das sind triste Dinge, zu deren Verteidigung die Poesie der katholischen Kirche nötig ist. Und reden Sie niemals per ›uns‹, wenn Sie so etwas sagen, das ist ein wenig komisch. Sie sind ein Emigrant, und es gibt kein Bindeglied zwischen Ihnen und uns. Beachten Sie die Zeichen der Zeit. Rekrutieren Sie sich, seien Sie nicht blind.«
    »Warum denn? warum?« rief Nieberding und sprang mit verzweifelter Gebärde empor. »Haben wir denn noch nicht genug bezahlt? mit Leib und Leben und Seele und Freiheit bezahlt? Ist es denn unmöglich, euch zu befriedigen? Seit Jahrhunderten dienen wir euch, unsere Besten haben so viel Gutes gewirkt, daß ihr es heute noch nicht einmal ermessen könnt, wir lieben eure Sprache, wir haben unser Blut für euer Vaterland vergossen, keine Werbung war uns zu demütigend, im stillen saßen wir und harrten auf das Licht der Erlösung und als ihr uns das schenktet, wofür ein eingesperrt gewesener Hund euch nicht einmal die Finger lecken würde, da dankten wir euch durch einen ungemessenen Überschwall von Kräften und Talenten, – und trotz alledem, wenn heute ein beschnittener Kerl bankrott macht, so wendet sich euer unverborgener

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