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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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dessen Peripherie niemand überschreiten darf. Dann schauen sie, es ist helllichter Tag, fest auf eine Kerze und plötzlich, der Fakir selbst steht am andern Ende des Zimmers, plötzlich brennt die Kerze, ohne daß jemand daran gerührt. Nun ist aber das Seltsame, sowie einer die vorgeschriebene Kreislinie überschreitet, ist das Licht für ihn verschwunden. Das enthält für mich ein Stück Lösung des ganzen Lebensrätsels.«
    »Ich muß gehn,« sagte Bojesen, »es ist spät.«
    »Wieviel Uhr ist es?«
    »Zwölf.«
    »Schon! Darf ich Sie begleiten?«
    Sie gingen. Kalt und klar war die Nacht, bis an die fernsten Grenzen lichtlos und still. Nieberding murmelte:

    »Mühsam ist der Pfad und lang,
    kein geschmückter Priester schreit
    ein versöhnliches Gebenedeit,
    wenn dein Fuß im Finstern vorwärts drang.«

    »Von wem ist das?« fragte Bojesen.
    »Von Gudstikker. Er hat ein Buch sehr schöner Verse veröffentlicht. Ich muß ihn aufsuchen, muß mit ihm sprechen. Ein großes Talent.«
    »Kein Charakter, doch ein Genie,« sagte Bojesen bitter
    »Was meinen Sie damit?«
    »Nun, dieses große Talent, – ich kenne es genau und schon lange. Eine Intrigantenseele, ein verwickelter Lügenkomplex. Was soll man dazu sagen. Die Kunst eines solchen Menschen ist vergänglich, selbst wenn sie für den Augenblick noch so sehr blendet.«
    Sie gingen vorbei an Bojesens Wohnung und wanderten weiter in die Stadt hinein. Ihr Schweigen war nicht das von vertrauten Menschen, sondern ein beunruhigtes und mißtrauisches. Selten waren noch Fenster erleuchtet. Der Turm einer Kirche erhob sich plötzlich auf einem Platz und dies gab der ganzen Umgebung einen solchen Ausdruck stummer Majestät, daß Bojesen glaubte, mit verschärften Ohren könne man die Orgel klingen hören. Auf der Königsstraße blieben sie vor einem kleinen Wirtshaus stehen. Durch die grünverhängten Fenster drang die Fistelstimme einer Soubrette, die ein laszives Lied mit entschiedener Betonung zum besten gab. Die Stimme war so, daß man die Haltung des Körpers darnach beurteilen konnte; ja, man glaubte, die falsch lächelnden Lippen und die gezierten Gesten zu sehen. Wütendes Händeklatschen belohnte die Leistung, und der Klavierspieler gab einen Tusch. Da sah Bojesen, wie sich Nieberding an den Kopf schlug, auflachte und wieder auflachte und dann davonstürzte. Bojesen sah ihm kopfschüttelnd nach und setzte seinen Weg allein fort.
    Auf einmal sah er eine Schar von zehn bis zwölf Knaben auf der Straße stehen, sich lautlos um einen Mittelpunkt scharen, sich lautlos ordnen und dann ebenso geheimnisvoll die Straße hinausmarschieren. Sie trugen die schwarze Mütze der Waisenhauszöglinge bis auf zwei, die an der Spitze gingen. In dem einen erkannte Bojesen sofort Agathon Geyer.
    Bojesen, zu erstaunt, um nach Gründen zu raten, beschloß, dem Zug zu folgen. Er empfand eine unerklärliche Scheu, die ihn hinderte, Agathon kurzweg anzureden. Die Wanderung ging über die schlechten und winkeligen Gassen des Altstadtviertels und über den Schießanger und Bojesen wurde so begierig, zu erfahren, was all dies bedeute, daß er seine Vorsicht vergaß und sich den Knaben zu sehr näherte. Einige standen still und wandten sich ihm zu. Agathon kam, stutzte, erkannte ihn, ließ den Kopf sinken und schwieg. Der Himmel schien von einem weit entfernten Licht innerlich erleuchtet und Bojesen konnte jeden Zug in Agathons Gesicht erkennen.
    »Tun Sie es nicht! Folgen Sie uns nicht!« sagte Agathon endlich stehend.
    »Was geschieht hier, Agathon?« fragte Bojesen, und er war seltsam bewegt, aus einem Grund, der ihm später zu denken gab. Er war matt und feig geworden diesem jungen Menschen gegenüber.
    »Nichts Unrechtes, Herr Bojesen,« entgegnete Agathon, heftete den Blick fest in den des Lehrers und lächelte so, daß Bojesen ihm die Hand hinstreckte. Er machte sich auf den Rückweg, ohne sich ein einziges Mal umzudrehen. »Wie romantisch,« murmelte er und suchte sich im Innern über Agathon zu stellen; aber sein Herz war beklommen.
    Am andern Tag, als er über die Wiesen spazieren ging, sah er Agathon von ferne. Er hatte nicht das Verlangen, ihn anzureden; er empfand ein Vertrauen zu ihm, das ihm Neugierde als etwas Verächtliches erscheinen ließ. Agathon ging langsam, mit in sich gekehrtem Blick; seine Kleider waren etwas beschmutzt. Noch nie hatte Bojesen den Ausdruck einer solch gespannten Erwartung, eines fast atemlosen Lauschens in einem Gesicht erblickt. Am Eingang des

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