Die Juden von Zirndorf
Korridoren des Schulgebäudes traf er die Herren, die, das akademische Viertel benutzend, gravitätisch oder tiefsinnig umherstolzierten, die Hand aus dem Rücken oder zwischen dem zweiten und dritten Knopf der Rockbrust.
Bojesen sah die finsteren Mienen seiner Kollegen nicht, oder gab vor, sie nicht zu sehen. Doch fühlte er wohl, daß etwas in der Luft lag. Nach Ablauf der Stunde kam der Pedell und bat ihn zum Rektor. Bojesen lächelte, entließ seine Schüler, schritt bedächtig die Stufen hinan und stand alsbald vor dem Herrscher des Schulreiches und fünf der ältesten Herren, die seine Garde bildeten.
»Herr Bojesen,« begann der Rektor feierlich mit einer fast unmerklichen Mischung von Sarkasmus und Schadenfreude, »Sie sind uns als Kollege lieb gewesen und als Lehrer wertvoll. Wir konnten uns täglich von der strengen Tatkraft überzeugen, mit der Sie Ihr Pensum durchführten. Wir glaubten, in Ihnen dereinst eine stolze Säule unserer Anstalt zu besitzen, einen verehrten und geachteten Mitbürger, einen tadellosen Erzieher. Vaterlandsliebe, einwandsfreier, sittlicher Wandel, Religiosität, das sind Tugenden, die die Brust eines Beraters der Jugend mehr schmücken als königliche Orden. Wir müssen bekennen, daß wir uns in Ihnen getäuscht haben.«
Ein undefinierbares Murmeln der Garde folgte dieser Ansprache.
»Was wollen Sie damit sagen, Herr Rektor?« entgegnete Bojesen ruhig.
»Damit soll gesagt sein, daß Sie, wie unsere gewissenhaften Nachforschungen zweifellos ergeben haben, in bezug auf Ihre moralische Führung nicht geeignet sind, einen günstigen Einfluß auf die Schüler zu üben, Herr Bojesen, – kurz, daß Sie sich auf Abwegen befinden. Als Mensch kommt es mir lediglich zu, Sie zu warnen, Sie kraft meines Alters aus tiefstem Herzen zu warnen. Als Vorstand dieses Instituts dagegen ist es meine Pflicht, Sie zu bitten, von Ihrer Lehrtätigkeit Abstand nehmen zu wollen, bis wir die Sachlage an das Ministerium berichtet und weiteren Bescheid empfangen haben.«
Bojesens Wangen und Stirn röteten sich und seine Hand zitterte. Doch der Rektor richtete sich straff empor und fuhr fort:
»Verteidigen Sie sich nicht. Suchen Sie uns nicht zu überzeugen, wovon es auch sei. Wir waren vorsichtig in bezug auf unsere Schritte. Sie verkehren in einer verrufenen Spelunke mit verrufenen Subjekten und verrufenen Frauenzimmern. Es ist schändlich und für mich als Haupt einer Anstalt, an deren Ruf kein Flecken haftet, deren pädagogischer Ruhm weit über die Grenzen unseres engeren Vaterlandes gedrungen ist, ich sage, es ist beschämend für mich, einen solchen Vorfall konstatieren zu müssen. Ihr unverzeihlicher Fehltritt fällt um so schwerer ins Gewicht, als Sie verehelicht sind lind trotzdem nicht Ehrgefühl genug besaßen, Ihren Hang zu zügeln. Aber nicht einmal das allein war maßgebend für mich. Nur aus wenigen Andeutungen, die sich scharf in den Geist jugendlicher Zuhörer graben können, das werden Sie selbst gut genug wissen, ist erwiesen, daß Sie es im Unterricht nicht verschmähten, skeptische Worte fallen zu lassen, die die Religiosität der Schüler gefährden konnten, und daß Sie so auf dem verbrecherischen Wege sind, die scheußliche Zeitkrankheit des Atheismus und der Pietätlosigkeit mitverbreiten zu helfen. Wir wissen, daß Sie sich mit dem dimittierten Schüler Agathon Geyer auch nach seinem Vergehen noch liebevoll befaßt haben, und jetzt wird mir auch vieles von der unerhörten Tat dieses irregeleiteten Jünglings klar. Ich hoffe, Sie bereuen und werden ein besserer Mensch. Für die unschuldigen Blüten, die man Ihnen anvertraut hat, ist ein anderer Gärtner von nöten. Und jetzt bitte ich Sie, uns zu verlassen. Oder haben Sie noch etwas einzuwenden? Ich mache Sie aufmerksam, daß unsere Zeit kurz bemessen ist.«
Bojesen rührte sich nicht. Seine Augen schauten unverwandt ins Weite, als suchten sie sich mit den kommenden Stunden der Entbehrung und der Brotlosigkeit schon jetzt vertraut zu machen. Um seine Lippen spielte ein halb mitleidiges, halb trauriges Lächeln. Der Rektor blickte ratlos die fünf Gardeherren der Reihe nach an, die dann in derselben Reihenfolge schweigend die Köpfe schüttelten. Endlich sagte Bojesen: »Meine Verbrechen sind Verbrechen. Für Sie müssen es solche sein, natürlich. Ich kann also nichts dagegen einwenden. Aber was die ›unschuldigen Blüten‹ betrifft, darüber möchte ich noch ein paar Worte sagen. Das was ich anstrebte, war, die Schüler von
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