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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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die ihm seine Vernunft verweigerte, stieg seine innere Erregung mehr und mehr. Allmählich kam ein Nachdenken über ihn, so wie es selten einem Menschen vergönnt ist, in sich die Dinge der Welt zu sehen. Er war plötzlich nicht mehr jung; Einsicht und Inspiration überflügelten seine Jahre. Er hatte etwas begangen, wofür ein anderer sühnte und litt. Er jedoch hatte sich gereinigt und erhoben gefühlt dadurch; es war ihm danach geschehen, als hätte man seine Hände entfesselt zu freiem Gebrauch. Er war sehend geworden und alles um ihn herum, Menschen und Dinge und Fügungen, hatten einen Bund geschlossen, ihn zu schützen. Er hatte sich keiner irdischen Macht unterworfen gefühlt, doch auch keiner göttlichen. Eine Stimme in ihm, die aber fremd war und ihn schaudern ließ, so oft er sie vernahm, rief ihn hinaus, rief ihn fort von den Seinen und er ahnte, zu welchem Krieg sie ihn befehligte.
    Daheim sah er bestürzte und erschrockene Gesichter. Die Kartoffeln standen unberührt und erkaltet auf dem Tisch. Die Petroleumlampe war ausgelöscht worden, und die Talgkerze stand auf dem Kommode-Eck in einem mit Grünspan überzogenen Leuchter. Mirjam saß auf der Bank und hielt den Kopf in den Händen.
    Vor seines Vaters Bett in der Kammer stehend, rief Agathon den bleich, mit geschlossenen Augen Daliegenden an. Elkan öffnete die Lider mit einem entsetzten Starrblick. Tiefe Furchen liefen auf beiden Seiten seines Gesichts bis zu den Mundwinkeln herab und erinnerten an die übertriebenen Falten eines grotesken Schnitzwerks.
    Agathon stieß mit einer ungeschickten Bewegung an das wackelige Tischchen vor dem Bett, der Leuchter fiel um und es war finster. Unwillkürlich atmete er auf, als ob er gewünscht hätte, es möge finster sein. Doch erblickte er an der Wand, die nur durch einen Bretterverschlag gebildet wurde und einen ursprünglich größeren Raum in zwei erbärmliche Löcher teilte, ein glühendes Schimmern, und als er näher trat, sah er im andern Gemach seine Mutter sitzen, die den Oberkörper über den Tisch gelegt hatte. Das Gesicht war verdeckt durch die verschränkten Arme. Vor ihr saß der Gast von damals mit seinem Asketengesicht, dm dünnen Lippen, den kaltfunkelnden Augen, den hageren Mönchsfingern. Finster starrte er vor sich hin, als ob er in ein Grab schaute. Und er schaute in ein Grab. Er selbst hatte es gegraben mit seinesgleichen um darin alles zu verscharren, was frei und schön ist. Desungeachtet betete er die Worte der Schrift: Sochrenu lachajim melech chofes bachajim; gedenke unser, o Herr, zum Leben, der du Wohlgefallen hast am Leben.
    »Vater!« flüsterte Agathon leidenschaftlich. »Vater, hör mich an.«
    »Licht, Licht!« erwiderte Elkan dumpf.
    »Hör mich erst, Vater. Es ist nicht wahr, daß du Sürich Sperling getötet hast. Ich hab's getan.«
    »Nein, Agathon, du willst eine Wohltat an mir verrichten, aber es ist umsonst.«
    »Weißt du denn noch, wie es war?«
    »Sobald er nur ins Haus kam, Hab ich ihm das Böseste gewünscht, was malt einem Menschen zudenken kann. Ich bin auf den Knien vor ihm gelegen und Hab geschluchzt wie ein Kind, aber er hat kein Erbarmen mit mir und meinen Kindern gehabt. Wie ein Narr bin ich nach Geld gelaufen und ging über Land und dachte mir, wenn er doch tot wäre. Und immer war der Gedanke in mir, bis der Tag kam, wo er dich ins Wasser stieß, und in der Nacht darauf lag ich da und mein glühender Wunsch war wie ein Engel mit feurigem Schwert, wie auf einer Feuerkugel schwebte er aus meiner Brust heraus und ging hin und öffnete das Tor und mein Auge begleitete seine Rachegestalt und sah, wie er aus Bett des Elenden trat und das finstere Herz durchbohrte und ich lag da und jubelte. Später freilich bäumte sich meine Seele dagegen auf und das ganze Leben war mir ein schwarzes Gewand.«
    Atemlos staunend hatte Agathon gelauscht: all das war sein Erlebnis, sein Gesicht, nur hatte ihn das Schicksal dann nicht verworfen, sondern erhöht.
    »Es war ein Traum, Vater,« sagte er mit seltsamer Freudigkeit und jene hinreißende Inspiration kam wieder über ihn. »Ich war es, ich hab es getan, mein Engel schwebte hinüber, meine Rache hat ihn getötet. Ich bin kein Jude mehr und auch kein Christ mehr und meine Tat ist über dich gekommen, weil du ein Jude bist und ich von deinem Blut. Weil dein Haus, deine Wände, deine Kleider, deine Messer und dein Gebet es nicht dulden dürfen, und sie mußten alles das an dich heften, wovon ich frei war und frei sein mußte.

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