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Die Juden von Zirndorf

Die Juden von Zirndorf

Titel: Die Juden von Zirndorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Nadelwäldchens entschwand er seinen Blicken.
    Gegen drei Uhr kam Agathon ins Dorf zurück. Er begegnete Frau Olifat, die aus ihrem Haus kam. Sie bemerkte seinen Gruß nicht. Auf ihrem Gesicht lag etwas so finster Drohendes neben einer bangen Ratlosigkeit, ja Verzweiflung, daß Agathon ihr erschreckt nachsah, dann eilends ins Haus ging und am Wohnzimmer pochte. Das kleine Mädchen öffnete, legte den Zeigefinger auf die Lippen und deutete dann wortlos auf das Sofa, wo Monika lag. Agathon schlich auf den Fußspitzen hin. Sie schien zu schlafen. Ihre Wangen glühten. Durch die geschlossenen Lider und die langen Wimpern schimmerte es wie von aufbewahrten Tränen. Der Körper lag in einer gequälten Lage, der Kopf und die Beine nach rückwärts gebogen. Die Finger waren in den Stoff des Polsters eingekrampft, die Lippen waren in leiser Bewegung. Agathon ging es wie ein Stich von der Stirn bis zum Knie. Nicht nur Angst und Schrecken waren es, sondern er hatte plötzlich die unwiderstehliche Begierde, diese unhörbar flüsternden Lippen zu küssen. Die wogende Brust des Mädchens, die leidenschaftliche Glut, in der sie lag, hilflos einer Wucht von Träumen überliefert, der schwach geöffnete Mund mit den begehrlich blitzenden Zahnen, – das ließ Agathen schaudern, und er verdeckte die Augen mit der Hand. Aber noch deutlicher sah er so das Bild, und er seufzte schwer, streichelte flüchtig, wie huschend, das glatte Haar der kleinen Esther und verließ das Zimmer. Alles Klare, Gute, Getröstete seines Innern war wie verblasen. Er ging heim, es dunkelte schon, und er war so erregt, daß er wie blind umhertappte. Das Haus war wie ausgestorben; doch als er in den Flur trat, um in seine Kammer zu gehen, stand wieder wie damals die Magd unter ihrer Türe. Wieder wie damals stand sie breit und gleichsam wartend vor dem düstern Kerzenschein. Ein trotziges und sinnliches Lächeln umspielte ihre dicken Lippen und Agathon starrte sie furchtsam an, wie ein Schicksal, dem er nicht entrinnen konnte. Sie sprach ihn an, aber er hörte es nicht; sie tätschelte seine Hand, und er fühlte es nicht. Sie nahm sein Gesicht mit grober Zärtlichkeit zwischen Daumen und Zeigefinger ihrer Linken und lachte; er war wie versteinert. Begierde, Trotz und Scham wollten fast seine Brust sprengen. Endlich machte er sich keuchend los und stürzte mit drei Sätzen die morsche Treppe hinab.
    Die Finsternis des Hofes empfing ihn, – es wurde ihm zu eng. Er eilte hinaus, bis in die Felder und über den Kirchhof und wußte nicht, wieviel Zeit verronnen war, als er wieder vor Frau Olifats Haus stand und hinaufschaute. Da öffnete sich die Gartentür; Monika war es. Sie blickte hinauf und hinunter, und als sie Agathon gewahrte, erschrak sie, kam schnell auf ihn zu, stockte, machte wieder ein paar Schritte, stockte wieder und fiel endlich nieder, umklammerte fest Agathons Knie und begann klagend und kummervoll zu schluchzen.
    Agathon wurde bis in die Lippen bleich. »Was ist denn nur!« stammelte er. Aber sie antwortete nicht, er sah ihre Schultern zucken, und ihr Weinen wurde immer verstörter und fassungsloser. Es schien aus einer Tiefe zu kommen, wohin sonst nicht leicht ein menschlicher Schmerz gelangt. Agathon wollte sie emporziehen, doch sie wehrte ihm heftig, fast zornig. Endlich und ganz unerwartet war sie still geworden, hielt die Schläfe mit beiden Händen und sah zu ihm auf mit einem gebrochenen Blick, in dem etwas Böses und Schuldiges war und der von einer Andern zu kommen schien als jener Monika, die Agathon bisher gekannt. Er wagte nichts zu sagen.
    »Ach, Agathon,« flüsterte endlich Monika mit einer weitentfernten Stimme, »ich hab dich erwartet, so lange, so lange. Denke nicht schlecht von mir, tu's nicht. Höre mich an, wenn du kannst und verstoß mich nicht. Es hat Gott gewollt, daß ich hier so werden sollte, wie ich bin. O Agathon! Agathon!« Und sie blickte mit dem Ausdruck tierischer Verzweiflung in sein Gesicht. Da stieg in Agathon eine Angst vor ihr auf, wie sie in einer finstern Landschaft kommen mag, wenn uns vor einem unsichtbaren Begleiter graut. Er machte sich los von ihr; aus irgend einem Grunde erschien sie ihm niedrig, er drückte ihr unentschlossen die Hand und sagte beklommen gute Nacht. Kaum war er fort, so bereute er tief, was er getan, doch die Stimme des Lämelchen Erdmann schreckte ihn empor aus seinem Brüten. Lämelchen Erdmann stand vor dem Wirtshaus, focht mit den Armen durch die Luft und schrie Agathon zu, den

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