Die Juedin von Toledo
Herzenslust sein mußte, ihn und die Seinen von der Erde zu tilgen. Überliefert war, daß Mardochai ihn vorher einmal aus Todesnot gerettet hatte, Haman aber hatte es ihm mit schwärzestem Undank gelohnt. So höllisch war seine Bosheit, daß die unschuldigen Bäume der Erde vor Gottes Thron wetteiferten um die Auszeichnung, das Holz für seinen Galgen zu liefern. Doch ausersehen wurde das Holz der Arche Noah; es war schon am Tage der Weltschöpfung für diesen Zweck bestimmt worden.
Don Jehuda fragte sich, ob er selber wohl grausam sei. Erwar es und war stolz darauf. Er gäbe die zweiundzwanzig Schiffe seiner Flotte um die Lust, den Erzbischof vom Ast eines hohen Baumes hängen zu sehen. Er gäbe seine Anteile an den Unternehmungen in der Provence und in Flandern, wenn er zuschauen könnte, wie man den Castro, der ihn einen schmutzigen Hund genannt hatte, geißelte und vierteilte. Ein Mann mußte so fühlen, es sei denn, er wäre ein Weiser wie Musa oder ein Prophet. Er, Jehuda, war das nicht und wollte es nicht sein.
Aus seinem Denken und Wägen rissen ihn Worte des Don Benjamín. Der nämlich sprach jetzt von der zweiten Sünde des Mardochai, von seinem Stolz. »Seht ihn doch«, ereiferte er sich, »wie er prunkend durch die Stadt Susa reitet, von Haman geführt! Und warum, da es nun einmal der Befehl des Königs war, hat er nicht das Knie vor Haman gebeugt? Die Gesetze des Landes sind eure Gesetze, lehren die Doktoren. Es ist diese seine Weigerung, es ist Mardochais Stolz, der das ganze Unheil über die Juden herabgerufen hat. So steht es ausdrücklich im Buche. Mardochai kannte die Menschen, er kannte Haman, er wußte, welche Folgen seine Weigerung haben werde: warum überwand er nicht seinen Stolz und wahrte sein Volk vor der Gefahr?«
Es fiel Jehuda schwer, sein Gesicht ausdruckslos zu halten. Er wußte, er selber galt als hochfahrend, und keinem seiner Gäste konnte entgangen sein, wie bedeutsam sein und Doña Raquels Geschick dem des Mardochai und der Esther ähnelte. Sicher maßen sie ihn an Mardochai. Und während Don Benjamín auf Mardochais Stolz schalt, überkam Jehuda ein bitterer Verdacht. Es war ihm vergönnt gewesen, den Juden Toledos Segen zu bringen. Aber schauten sie nicht vielleicht trotzdem noch immer mit den Augen des Rabbi Tobia auf ihn, voll Abscheu? Dem Mardochai verdachte es keiner, daß er die Pflegetochter dem heidnischen König in seine Burg und ins Bett schickte. Aber Mardochai hatte vor vielen hundert Jahren gelebt in der Stadt Susa, die fern war. Er, Jehuda, lebteheute, und die Galiana war keine zwei Meilen entfernt. Argwöhnisch prüfte er die Gesichter seiner Gäste, argwöhnisch vor allem den jungen Don Benjamín. Er konnte ihn nicht leiden; seine Blicke waren kühl und wagend und ohne die Ehrerbietung, auf die ein Jehuda Ibn Esra Anspruch hatte.
Aber nein, sie hatten keine bösen Nebengedanken, seine Gäste. Mit welcher Hitze führten sie den jungen Benjamín ab. Sie verteidigten ihn, Jehuda, wenn sie Mardochai verteidigten. Mit Genugtuung nahm er wahr: sie verübelten es ihm nicht, daß er ihnen Segen brachte.
Es waren in der Tat feurige Argumente, mit denen sie ihren Mardochai in Schutz nahmen. Wenn Mardochai stolz gewesen wäre, hätte er dann verheimlicht, daß er der Pflegevater und Oheim der Königin war? Und hätte ein stolzer Mann demütig wie ein Bettler vor dem Königsschloß herumgehockt? Und er hatte auch Esther zu jeglicher Demut erzogen. Nicht voll falscher Zuversicht trat sie den schweren Gang vor den König an, der ihr Todesgang werden konnte, sondern in tiefster Demut. Im Wortlaut überliefert war ihr Gebet: »Du weißt es, o Herr, ich habe den Glanz dieses Königsschlosses nicht begehrt. Nein und nochmals nein. So wie sich die Frau vor dem Kleide ekelt, welches sie in den Tagen ihrer Unreinheit trägt, so ekelt es mich vor meinen Prunkgewändern und vor der Krone, die ich tragen muß. Keine Freude habe ich, seitdem ich hier bin, als allein die Freude an dir, mein Gott. Und nun, o Herr, Tröster der Beladenen, steh mir bei in meinem Elend und lasse mich Gnade finden vor diesem heidnischen König, vor dem ich mich fürchte wie das Lamm vor dem Wolfe.«
Jehudas Mißtrauen war verweht. Die Juden von Toledo wollten ihm nicht übel. Sie sahen in ihm einen Mann wie Mardochai, einen Mann, der groß war unter den Juden und angenehm unter der Menge seiner Brüder, der bedacht war auf das Beste seines Volkes und der das Heil suchte für sein ganzes Geschlecht.
Musa
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