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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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großen Heiden Aristoteles nur den Verstand nähre, befriedige die Lehre Israels nicht nur die Bedürfnisse der Vernunft, sondern auch die des Gefühls, sie lenke nicht nur das Denken des Menschen in die rechte Bahn, sondern auch sein Handeln. Und wenn der Stifter des Christentums verkünde, daß Leiden die höchste Tugend und heiligste Bestimmung des Menschen sei, dann habe mehr als jede andere Nation das Volk Israel diese Lehre in Leben und Wirklichkeit umgesetzt; Israel trage die edle Krone des Leidens nun durch so viele Jahrhunderte, ein Vorbild der Menschheit.
    Don Benjamín schwärmte Raquel vor von dem Manne, der – es waren noch keine fünfzig Jahre her – diese Lehren in edeln Sätzen verkündet hatte, von dem letzten großen Propheten Israels, Jehuda Halevi. Er erzählte ihr ausführlich von Jehudas Apologie des Judentums, und er sprach ihr vor ausseinen Zions-Liedern: »O Zion, du königliches Heim. Hätte ich Flügel, ich flöge zu dir. Ehrfürchtig und beglückt küßte ich deinen Staub; denn noch dein Staub duftet wie Balsam. Wie kann ich leben, da Hunde deine toten Löwen zerreißen? Du glorreiche Wohnung des Herrn, wie macht sich jetzt sklavisches Gesindel breit auf deinem Prunksessel!« Und er war, Jehuda Halevi, gegen Ende seines Lebens gebrechlich und unter Mühsalen ins Heilige Land gezogen und angesichts der Heiligen Stadt erschlagen worden von einem moslemischen Ritter.
    Wenn sich Benjamín von seinem schwärmenden Gefühl hatte hinreißen lassen, dann wurde er wohl verlegen und versuchte, mit einem halben Scherz in den Alltag zurückzukehren. Oder er nahm sein Merkbuch heraus und bat Raquel, ob er sie zeichnen dürfe. Lächelnd meinte sie: »Wie fromm du bist – und wie ketzerisch.« Drei Zeichnungen machte er von ihr. Sie bat ihn, sie ihr zu schenken; sie hatte Angst, es könnte, wer ein Bild von ihr zu eigen habe, Gewalt haben über sie selber.
    Einmal, da er sich ihr besonders nahe fühlte, offenbarte er ihr seine letzte, heimliche Erkenntnis. »Wir sehnen uns nach dem Heiligen Land«, sagte er, »wir beten um die Ankunft des Messias: aber« – und er sprach so leise, daß sie ihn kaum verstand – »in Wahrheit wollen wir gar nicht, daß der Messias kommt. Er würde unsere unmittelbare Verknüpfung mit Gott stören, er würde uns einen Teil Gottes wegnehmen. Die andern haben Staat und Land und Gott, und alles das verehren sie, und alles das ist ihnen vermischt, und Gott ist nur ein Teil dessen, was sie verehren. Wir Juden haben nur Gott, und dadurch haben wir ihn rein und ganz. Wir sind nicht arm im Geiste, wir brauchen keinen Mittler zwischen Gott und uns, keinen Christus und keinen Mohammed, wir wagen es, Gott ohne Mittler zu schauen und zu verehren. Auf Zion zu hoffen, ist besser und macht das Leben reicher, als Zion zu haben. Daß der Messias einmal kommen wird, ist uns ein Ansporn, die Erde für ihn bereitzumachen, es ist ein Traum,keine Wirklichkeit, und das ist gut so. Wir wollen nicht träg und faul werden im Besitz des Guten, wir wollen das Streben, wir wollen den Kampf um das Gute.«
    So hohe Achtung Raquel vor dem Wissen und dem Geiste Don Benjamíns hatte, das, was er da vom Messias sagte, gefiel ihr nicht. So weit durfte die Ketzerei nicht gehen. Daß es keinen Messias gebe, daß er nicht so bald oder überhaupt nicht kommen werde, das zu glauben sträubte sie sich, das glaubte sie nicht.
    Das wußte sie besser.
    Es waren viele Voraussagungen gemacht worden über die Zeit, wann der Messias kommen sollte. Tausend Jahre, hatte es geheißen, werde das Leiden Israels dauern, Exil und Zerstreuung. Die tausend Jahre waren lange um. Von neuem zogen die Feinde gegen Jerusalem, die Zeit war da, zu der, wie der Prophet Jesaja es verhieß, das junge Weib den Sohn gebären werde, Immanuel, den Messias. Es wurden denn auch in diesen Jahrzehnten jüdische Frauen während ihrer Schwangerschaft mit besonderer Achtung angesehen; denn es konnte nach den Worten der Doktoren eine jede auserwählt sein, den Immanuel zu gebären.
    Raquels höchst merkwürdiges Schicksal machte sie glauben, sie trage den Messias. Aus dem Hause David sollte er kommen, und war nicht sie, die Ibn Esra, eine Prinzessin aus dem Hause David? Und das große, gefährliche Glück, daß der christliche König sie zu seiner Gefährtin erlesen hatte, deutete nicht auch das auf eine außergewöhnliche Bestimmung? Sie betastete ihren Leib, sie horchte in sich hinein, sie lächelte tief, immer mehr festigte sich ihr der Glaube,

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