Die Juedin von Toledo
besonnener Antwort an den Kalifen zu mahnen. In der Aussprache hätte er auch von der währenden Liebschaft mit Raquel reden müssen, und das auf sich zu nehmen, war er zu feig gewesen.
Niemals in seinem Leben hatte dem Domherrn Schuld so schmerzhaft die Seele zerfressen. In ihm klangen Worte des Abaelard: »Das waren die Tage, da ich erfahren habe, was esheißt: leiden, was es heißt: sich schämen, was es heißt: verzweifeln.«
Er erhob sich mit zerschlagenen Gliedern. Versuchte, sich abzulenken. Holte seine Chronik vor, um an ihr weiterzuarbeiten. Es war ein großer Haufen beschriebenen Pergaments. Er las dieses Blatt, jenes. Ach, was er da mit liebendem Eifer aufgezeichnet hatte, blieb kahl und leer; kein Sinn war zu finden in den Ereignissen, die er mit so viel Mühe zusammengetragen hatte. Wie grundverkehrt war seine Darstellung des Alfonso! Welche Vermessenheit, wenn einer, der nicht einmal dieses Nächste deutlich sehen konnte, den Finger Gottes sichtbar machen wollte in den großen Geschehnissen!
Er holte ein Buch her, das man ihm gerade aus Francien geschickt hatte und das dort viel Aufsehen erregte. Es hieß »L’Arbre des Batailles«, »Der Baum der Schlachten«, der Autor war Honoré Bonet, Prior des Klosters von Sellonet, und es befaßte sich mit dem Sinn des Krieges und mit seinen Rechten und Bräuchen.
Rodrigue las. Ach, dieser Prior von Sellonet war ein braver Mann, wohlmeinend, fest im Glauben. An Hand der Heiligen Schrift erörterte er und stellte mit Entschiedenheit fest, ob man an Feiertagen kämpfen durfte, in welchen Fällen man den Feind erschlagen, in welchen man sich damit begnügen sollte, ihn gefangenzunehmen, desgleichen, wie hoch das Lösegeld sein sollte, das ein Christ von einem andern guten Christen verlangen durfte.
Er drückte sich vor keinem Problem, der Prior Bonet. Wacker schlug er sich auch mit den schwierigsten Fragen herum und löste sie schlicht und platt und nüchtern.
Da war etwa seine Antwort auf die Fragen derer, die da zweifelten, ob nicht der Krieg nach dem Gesetze Gottes von vornherein verboten sei. »Viele schlichte Leute«, führte der Prior von Sellonet aus, »halten den Krieg für verwerflich, weil in ihm notwendigerweise viel Übel getan wird, und Übel zu tun, hat Gott verboten. Ich sage euch, das ist Unsinn. Krieg ist kein Übel, er ist gut und recht; denn Krieg sucht nur dasUnrecht zu Recht zu machen und Unfrieden in Frieden zu kehren, genau wie die Schrift es vorschreibt. Und wenn im Krieg viel Übel geschieht, so rührt das nicht vom Wesen des Krieges her, sondern von falscher Führung durch den einzelnen, als wenn zum Beispiel ein Krieger ein Weib hernimmt und ihr Gewalt antut oder eine Kirche niederbrennt. Dergleichen liegt nicht notwendig im Wesen des Krieges, sondern nur in falscher Führung durch einzelne. Ähnlich steht es zum Beispiel um die Gerechtigkeit, deren Wesen zufolge der Richter vernünftig urteilen soll, gemäß seiner Erleuchtung. Aber wenn nun ein Richter ungerecht urteilt, dürfen wir deshalb sagen: die Gerechtigkeit an sich ist ein Übel? Doch sicher nicht. Das Übel rührt nicht her vom Wesen der Gerechtigkeit, sondern von falschem Gebrauch und von schlechter Interpretierung und vom schlechten Richter.«
Der Domherr seufzte. Er machte sich’s einfach, der Prior Bonet. Der Gelehrte Rodrigue wußte, daß sich nicht alle so schnell mit dem Problem abgefunden hatten. Die frühchristliche Sekte der Montanisten zum Beispiel hatte den Kriegsdienst für unvereinbar mit dem Christentum erklärt. Der Domherr schlug den Montanisten Tertullian auf: »Ein Christ wird nicht Soldat«, hieß es da, »und wenn ein Soldat Christ wird, tut er am besten, den Dienst zu verlassen.« Viele solcher Beispiele gab es. Der junge Maximilianus, da er sich in die Werbelisten eintragen lassen sollte, hatte dem Prokonsul erklärt: »Ich kann nicht dienen, ich kann das Böse nicht tun, ich bin Christ.« Der tapfere, in vielen Schlachten erprobte Soldat Typasius hatte sich nach seiner Bekehrung geweigert, weiterzudienen. Er sagte seinem Zenturio: »Ich bin Christ, ich kann unter deinem Befehl nicht weiterkämpfen.« Und hier, in diesem Hispanien, hatte der Zenturio Marcellus angesichts der Feldzeichen seiner Legion sein Schwert zu Boden geworfen und erklärt: »Ich diene nicht länger dem Kaiser. Von heut an dien ich Jesus Christus, dem König der Ewigkeit.« Und die Kirche hatte Maximilianus und hatte Marcellus heiliggesprochen.
Später freilich, unter dem
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