Die Juedin von Toledo
Kaiser Konstantin, hatte dasKonzil von Arles diejenigen, die den Militärdienst verweigerten, exkommuniziert.
Der subtile, lockende, gefährliche Abaelard stellte in »Ja und Nein« zusammen, was die Schrift für und was sie gegen den Krieg sagte, und überließ es dem Leser, die Schlüsse zu ziehen. Aber wer war weise genug, sich da zurechtzufinden? Wie sollte man es anfangen, die Lehren der Bergpredigt zu befolgen, wie sollte man dem Übel nicht widerstreben – und dennoch Krieg führen? Wie sollte man den Feind lieben – und ihn totschlagen? Wie reimte sich der Aufruf zum Kreuzzug mit der Lehre des Erlösers: »Wer das Schwert zieht, soll durch das Schwert umkommen.«
Die Gedanken verschwammen Rodrigue, die Seiten der Bücher, in denen er las, wurden ihm groß und größer, die Schriftzeichen verwirrten sich. Wurden zum Gesichte Don Alfonsos. »Vultu vivax«, damit hatte er recht. Er hatte gesehen, wie sich, kaum hatte der moslemische Prinz zu sprechen begonnen, ein wildes Feuer hinter der herrscherhaften Maske Alfonsos entzündete, wie die Funken durch die Maske schlugen, wie die ganze Flamme durchschlug, wie zuletzt das Gesicht vollends verwilderte in Gewalttätigkeit, in der Lust, zu kränken, zuzuschlagen, zu zerstören. Noch bei der Erinnerung an dieses Gesicht faßte den Domherrn Entsetzen.
Aus diesem Entsetzen aber kam ihm Entschuldigung. In allen entscheidenden Stunden brach die Gewalttätigkeit dieses Mannes an den Tag. Niemand konnte dagegen aufkommen. Gott hatte Rodrigue eine unlösbare Aufgabe aufgeladen, als er ihm gebot, diesen König zu betreuen.
Allein er durfte nicht die eigene Schuld und Schwäche mit solchen Sophismen verschminken. Er durfte sich auch jetzt nicht etwa sagen, es sei doch alles verloren. Er hatte nun einmal den Auftrag, Alfonso zu mahnen, und mußte es Gott überlassen, ob ihm Erfolg beschieden war oder nicht. Er mußte Alfonso aufsuchen, noch heute, sogleich; denn zweifellos wird der König, nun er den Kalifen auf solche Art herausgefordert hatte, ohne Verzug nach dem Süden aufbrechen.
Er ging in die Burg.
Er fand einen fröhlichen, aufgeschlossenen Alfonso. Der fühlte sich, seitdem er den moslemischen Prinzen auf so königliche Art heimgeschickt hatte, leicht und frei. Er hatte seiner innern Stimme gehorcht, das Gewarte war zu Ende, sein Krieg war da; er war voll fürstlich heiterer Zuversicht.
Ein wenig freilich störten ihn die besorgten Mienen seiner Räte; sie erinnerten ihn an die Gesichter seiner Erzieher, wenn sie den königlichen Knaben Alfonso mißbilligt und nicht gewagt hatten, ihn zurechtzuweisen. Und der da kam, sein Freund Rodrigue, war offenbar auch nicht einverstanden mit der Antwort, die er dem Kalifen erteilt hatte.
Vielleicht aber war es gut, daß Rodrigue gerade jetzt kam. Die Aussprache ließ sich nicht vermeiden; auch über das, was in der Galiana geschehen war, hätte Alfonso mit dem väterlichen Freunde längst schon reden müssen, und keine bessere Stunde, ihm alles zu erklären und sich zu rechtfertigen, gab es als diese, da er so glücklich gelösten Mutes war.
Schnell entschlossen also, ohne lange Einleitung und Beschönigung, erzählte er, was sich zwischen ihm, Raquel und ihrem Vater zugetragen hatte, daß nämlich der Jude das Kind geflüchtet hatte, bevor er’s hatte taufen können. »Ich habe Schuld auf mich geladen, mein Freund und Vater«, sagte er, »aber ich gestehe dir’s offen, sie drückt nicht schwer. Morgen geh ich in den Kreuzzug, und es wird nicht lange dauern, dann kehr ich zurück, rein und entsühnt. Und dann werde ich nicht nur das Söhnchen taufen, ich werde auch Raquel auf den Weg der Gnade führen. Ich werde stark sein nach dem Sieg, ich weiß es.«
Rodrigue hatte gefürchtet, das Kind sei noch in der Galiana, in täglicher Atemnähe des Vaters, der ihm nach wie vor die Gnade der Taufe vorenthalte, und er atmete auf, weil dem nicht so war. Überdies war sich der König des Umfangs seiner Schuld offenbar nicht bewußt, und Rodrigue dachte an das tiefe und gefährliche Wort des Abaelard: Non est peccatum nisi contra conscientiam – Sündig ist nur, wer sich seinerSünde bewußt ist. Wiederum, gegen seinen Willen, fühlte er sich in den König ein und verstand ihn.
Aber wenn Alfonsos Bericht den Kummer des Domherrn über das Ärgernis in der Galiana linderte, so erzürnte ihn um so heißer die Leichtfertigkeit, mit welcher Alfonso von dem kommenden Kriege sprach. Dieser König, dem Gott hellen Verstand mitgegeben
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