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Die Juedin von Toledo

Die Juedin von Toledo

Titel: Die Juedin von Toledo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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häßlichen Gesicht, fuhr fort: »Auch muß ich dich darauf aufmerksam machen, daß du jetzt erst recht deine liebe Not mit mir haben wirst. Denn fortan werde ich dir bestimmt keine Ruhe lassen, ehe du dich wieder an deine Chronik machst.«
    Schon jetzt, noch in Toledo, wetzte er dem Freund den Appetit und verwickelte ihn immerzu in weitläufige geschichtsphilosophische Debatten. Da stand er an seinem Schreibpult, kritzelte und sagte über die Schulter: »Es ist kein Zufall, daß wir Moslems Toledo wieder haben aufgeben müssen, nachdem wir es schon so gut wie in der Hand hatten.Unsere Zeit, die große Zeit unserer Macht, ist eben leider vorbei, und die innern Zwistigkeiten, die den Kalifen mitten im Sieg zurückriefen, werden sich wiederholen. Das ist so gewiß wie die mathematischen Regeln des Alcharesmi. Das Weltreich der Moslems, so mächtig es ausschaut, ist zu alt. Es ist brüchig.«
    Wie sich’s Musa erhofft hatte, biß Rodrigue an. »Eure Zeit vorbei, wagst du zu sagen!« antwortete er. »Aber ihr habt doch gesiegt! Unser Heer ist vernichtet, eure Grenze läuft unmittelbar vor Toledo, unser stolzer Don Alfonso zahlt euch Tribut.« Er ereiferte sich. »Die Herrschaft der Moslems im Abstieg! Die große Zeit der Moslems vorbei! Dreimal in diesem Jahrhundert sind wir gegen euch angelaufen mit Heeresmassen, wie sie die Welt noch nie gesehen hat. Fünfhundert mal tausend christliche Ritter sind in diesen Kreuzzügen umgekommen, und tausend mal tausend Mann andern christlichen Volkes, von Tod, Seuchen und Elend in der Heimat zu schweigen. Und die Heilige Stadt ist heute genauso in euerm Besitz wie vor hundert Jahren. Und da klagst du, euer Reich verfällt!«
    Musa erwiderte höflich: »Du stellst dich weniger weise, als du bist, mein hochwürdiger Freund. Du spannst die Historie weniger Jahrzehnte oder eines Jahrhunderts in einen Rahmen und tust, als wäre sie etwas Geschlossenes. Aber wir, du und ich, wir wollen doch nicht nur das Heute beschreiben und das bißchen Gestern, wir trachten doch, den Sinn der Ereignisse festzuhalten, wir wollen die Richtung der Geschehnisse erkennen und in die Zukunft weisen als wahre Kundschafter Gottes. Und da stellt sich denn, leider, heraus, daß eure Kreuzzüge keineswegs Mißerfolge waren. Gewiß, was ihr in diesem letzten Jahrhundert an Gebiet erobert habt, war die Opfer nicht wert. Aber dafür habt ihr wirtschaftliche Einsichten die Fülle gewonnen, das weißt du doch so genau wie ich, und unschätzbare politische und wissenschaftliche Erfahrungen. Wir haben euch gutmütig und eitel in unseren Fabriken herumgeführt, wir haben euch gezeigt, wie wir unsere Jugend erziehen, wie wir unsere Städte verwalten, wie wirRecht sprechen. Ihr seid eifrige Schüler gewesen und macht uns gut nach, was wir Gutes haben. Ihr habt begriffen, daß es in diesem Jahrhundert weniger auf die Ritter ankommt als auf die Wissenden und auf die Sachverständigen, auf Baumeister und Waffenschmiede und Ingenieure und Kunstfertige aller Art und gelernte Landwirte. Und ihr seid jung, ihr seid im Aufstieg, bald werdet ihr uns eingeholt und überflügelt haben. Ihr habt fünfhundert mal tausend Ritter verloren, aber die Besiegten seid nicht ihr.«
    Er hatte die marklose Stimme gehoben. Aus seinen stillen, wissenden, etwas spöttischen Augen schaute er auf den Freund. Der schwieg. Er gab sich geschlagen, nicht ohne Genugtuung.
    Solcher Gespräche führten die beiden noch manche, Streitgespräche, in denen, zu seiner Verwunderung, Rodrigue den Triumph der Ungläubigen behauptete, während Musa am Endsieg der Moslems verzweifelte.
    Je länger aber Rodrigue über die Argumente des Freundes nachdachte, so stärker leuchteten sie ihm ein, so mehr Zuversicht gaben sie ihm. Er fühlte sich jung und neu. Nicht mehr quälte ihn jener Satz des Paulus an die Korinther, der die Torheit Gottes ausspielte gegen die Weisheit der Weisen. Statt dessen jubelte in ihm das andere Wort des Apostels: »Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.« Statt des blinden Glaubens, der in seliger Verzückung aufging, war jetzt in ihm ein ahnendes Wissen, ein immer dichteres Gefühl: es ist trotz allem ein erkennbarer Sinn im Weltgeschehen. Noch konnte er dieses Gefühl nicht in folgerichtige Sätze umdenken. Er trachtete auch nicht nach Klarheit. Es genügte ihm, um den Sinn des Weltgeschehens so viel zu wissen, wie Augustin um das Wesen der Zeit gewußt hatte: »Wenn du mich nicht fragst, weiß ich es; wenn du mich fragst,

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