Die Juedin von Toledo
Heil ist, und schon gar nicht möchte er sie zwingen. Aber er will, daß sie bleibtund sich dem Manne fügt. Er macht sich vor, er stehe vor einer schweren Wahl, aber er hat sich längst entschieden, er will bleiben, er will nicht hinaus in Armut und Elend. Wenn er nicht bleiben wollte, dann hätte er sogleich gesagt: Wir müssen fliehen. Auch ich möchte bleiben, auch ich möchte sehr ungern ein zweites Mal hinaus in Armut und Exil.
Musa teilte die Anschauungen der Moslems über Liebe und Lust. Die verfeinerte, vergeistigte »Minne« der christlichen Ritter und Sänger schien ihm Einbildung, Wahn; die Liebe der arabischen Dichter war greifbar, wesenhaft. Auch ihre jungen Männer starben vor Liebe, und ihre Mädchen schwanden hin vor Sehnsucht nach dem Geliebten; aber es war kein Unglück, wenn der Mann auch eine andere Frau beschlief. Liebe war eine Angelegenheit der Sinne, nicht des Geistes. Groß waren die Freuden der Liebe, aber es waren dumpfe Freuden, nicht vergleichbar der hellen Seligkeit der Forschung und Erkenntnis.
In seinem Innersten wußte wohl auch sein Freund Jehuda, daß das Opfer, welches von Raquel verlangt wurde, so ungeheuerlich nicht war. Aber wenn Musa ihm nicht klug zuredete, dann wird er, um vor sich selber und vor den andern mit seiner Seele und seiner Sendung zu prahlen, schließlich doch das Falsche tun und sich aus Toledo fortmachen zum »Heil« seiner Tochter. Wahrscheinlich aber ihr keineswegs zum Heil. Denn was erwartete sie, wenn sie nicht dieses Königs Nebenfrau wird? Wenn es gut ging, verheiratete sie Jehuda dem Sohn irgendeines Steuerpächters oder reichen Mannes. War es da nicht besser, sie hatte starke Freuden und Schmerzen, ein großes Schicksal statt eines mittelmäßig blassen? Von der Wand mahnte der arabische Spruch: »Such nicht das Abenteuer, doch geh ihm nicht aus dem Wege.« Raquel war ihres Vaters Kind; wenn sie zu wählen hatte zwischen einem braven, blassen Schicksal und einem ungewissen, verfänglichen, leuchtenden, dann wählte sie das verfängliche.
Er sagte: »Frage sie, Jehuda. Frage dein Kind.« Jehuda sagte ungläubig: »Ich soll die Entscheidung dem Mädchenzuschieben? Sie ist klug, aber was weiß sie von der Welt? Und sie soll entscheiden über das Schicksal von Tausenden und aber Tausenden?«
Musa antwortete klar und sachlich: »Frage sie, ob ihr dieser Mann ein Abscheu ist. Wenn nicht, dann bleibe. Du selber hast gesagt, wenn du mit ihr fliehst, dann kommt Böses über sehr viele.«
Jehuda, zornig und finster, erwiderte: »Und ich soll die Wohlfahrt der vielen bezahlen mit der Hurerei meiner Tochter?«
Musa sagte sich: Da steht er, ehrlich entrüstet, und will, daß ich ihm seine Entrüstung ausrede und seine Moral widerlege. In der Seele ist er entschlossen, zu bleiben. Er muß tun, es treibt ihn, zu tun, es ist ihm nicht wohl, wenn er nicht tut. Und sich regen, so wie er’s will, kann er nur, wenn er Macht hat. Und Macht hat er nur, wenn er bleibt. Vielleicht sogar, aber er gesteht sich’s nicht ein, hält er’s für ein Glück, daß dieser König das Mädchen begehrt, und träumt schon davon, wie er aus der Geilheit des Mannes großen Segen zieht und Blüte für Kastilien und für seine Juden und Macht für sich selber. Musa betrachtete den Freund bitter amüsiert.
»Wie du stürmst«, antwortete er. »Von Hurerei sprichst du. Wenn dieser König unsere Raquel zu seiner Hure machen wollte, käme er heimlich mit ihr zusammen. Statt dessen setzt er sie nach La Galiana, er, der christliche König, die Jüdin, jetzt, im Heiligen Krieg.«
Die Worte des Freundes rührten Jehuda an. Als er Aug in Aug mit dem König gestanden war, hatte er Haß und Zorn gespürt vor der Wildheit und Roheit des Mannes, aber auch eine feindselige Achtung vor seinem Stolz und seinem riesenstarken Willen. Musa hatte recht: solch erschreckend starker Wille war mehr als geiles Gelüst.
»Nebenfrauen zu haben, ist in diesem Lande nicht der Brauch«, sagte ohne Schwung Jehuda.
»So wird der König den Brauch eben einführen«, antwortete Musa.
»Meine Tochter soll keines Mannes Nebenfrau sein, auch nicht eines Königs«, sagte Jehuda.
Musa gab zu bedenken: »Nebenfrauen der Urväter wurden zu Müttern eurer Stämme. Und wie ist es mit Hagar, der Nebenfrau Abrahams? Sie gebar einen Sohn, der zum Stammvater des mächtigsten Volkes der Welt wurde, und sein Name war Ismael.« Und da Jehuda schwieg, riet er nochmals und dringlich: »Frage dein Kind, ob ihr dieser Mann ein
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